„Zur Psychologie der Pandemie“

Die vor­herr­schen­de Coro­na-Pan­de­mie wird in aller­ers­ter Linie vor dem Hin­ter­grund wis­sen­schaft­li­cher Daten (Inzi­denz­wer­te usw.) betrach­tet. Voll­kom­men unbe­ach­tet sind dagegen 

1. Die psy­cho­lo­gi­schen Mecha­nis­men, die hin­ter den getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen stehen

2. Die psy­cho­lo­gi­schen Mecha­nis­men, die hin­ter der media­len Beglei­tung der Pan­de­mie wirken

3. Die psy­cho­lo­gi­schen Mecha­nis­men, die sich hin­ter den Reak­tio­nen inner­halb der Bevöl­ke­rung auf die Pan­de­mie und die getrof­fe­nen Maß­nah­men auswirken

Zu 1: Es ist seit lan­ger Zeit bekannt, dass der Satz „Ich blei­be auf dem Geh­weg“ für bes­se­re Ergeb­nis­se sorgt als der Satz „Betre­ten des Rasens ver­bo­ten“. Obwohl dem so ist, wird die­se psy­cho­lo­gi­sche Tat­sa­che igno­riert. Dies liegt dar­an, dass der Mensch im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes ein Gewohn­heits­tier ist. In einer Gefah­ren­si­tua­ti­on greift er unbe­wußt nach dem aller­ers­ten Ein­fall, der ers­ten Asso­zia­ti­on, die ihm in den Sin­ne kommt. Dies ist in einer Situa­ti­on, in der es um den Wunsch nach Kon­trol­le geht, immer noch die Andro­hung und dann auch Aus­füh­rung von Bestra­fung. Tat­säch­lich ist auch jetzt immer öfter in der Öffent­lich­keit von den Ent­schei­dungs­trä­gern zu hören, dass Ver­ge­hen gegen die Coro­na­maß­nah­men stren­ger unter Stra­fe gestellt wer­den soll­ten. Dies wird so nicht funktionieren. 

Des Wei­te­ren haben wir es mit fol­gen­den psy­cho­lo­gi­schen Phä­no­me­nen zu tun: 

a) Muss-Gedan­ken: In Stress­si­tua­tio­nen nei­gen Men­schen dazu, ihre Gedan­ken an For­de­run­gen und Erwar­tun­gen aus­zu­rich­ten, die nicht mehr hin­ter­fragt wer­den. „Ich muss das jetzt schaf­fen“, „Ich muss mich ent­schul­di­gen“, „Ich muss mich tren­nen“ o.Ä. In der Poli­tik wer­den die getrof­fe­nen Maß­nah­men ganz ent­schei­dend von sol­chen Muss-Gedan­ken geprägt. „Wir müs­sen das jetzt in den Griff krie­gen“, „Wir müs­sen unter eine Inzi­denz von 50, 35, 10 kom­men“. Beim kri­ti­schen Hin­ter­fra­gen die­ses Anspru­ches wer­den wir jedoch dar­an erin­nert, dass ein Auf­hal­ten natür­li­cher Phä­no­me­ne, wie eben die einer Pan­de­mie, nicht mög­lich ist, da wir es mit natur­wis­sen­schaft­lich- bio­lo­gi­schen Tat­sa­chen zu tun haben. Wir kön­nen uns Mühe geben, aber die Mög­lich­keit eines unvoll­kom­me­nen Ergeb­nis­ses bzw. eines Schei­terns darf dazu­ge­hö­ren. Ein Poli­ti­ker, der wie­der­ge­wählt wer­den will, wird sich aber nur schwer­lich auf ein sol­ches – eigent­lich ver­nünf­ti­ge­res Niveau – bege­ben. Herr Laschet macht jetzt gera­de einen ganz klei­nen Schritt in die­se Rich­tung. Auf einer tie­fe­reren Ebe­ne sind sol­che Muss-Gedan­ken aber auch von nar­ziss­ti­schen Grö­ßen­vor­stel­lun­gen geprägt: Es ist eine Krän­kung zuge­ben zu müs­sen, dass wir eben nicht unbe­dingt den Tod ver­mei­den müs­sen, weil er uns uner­träg­lich vor­kommt, son­dern ihn viel­mehr als Teil unse­res Lebens in unse­rer Kul­tur offen mit­ein­schlie­ßen kön­nen. Die damit in Zusam­men­hang ste­hen­de Idea­li­sie­rung von Wis­sen­schaft­lern und Ärz­ten – die irgend­wann ein „Null-Covid“ erreicht – ist eben­falls ein psy­cho­lo­gi­sches Phä­no­men, was voll­kom­men unbe­merkt vor­an­schrei­tet. Mit jeder Über­bie­tung der Idee, „weni­ger Todes­fäl­le“, „gerin­ge­res Lei­den“ errei­chen zu müs­sen, wird der Idea­li­sie­rung neue Nah­rung ver­schafft. Dass Men­schen immer und über­all eines grau­sa­men Todes ster­ben, wird in den Hin­ter­grund gedrängt. Es scheint, als habe sich unse­re Kul­tur auf die Fah­nen geschrie­ben, ein schmerz­frei­es, ewi­ges Leben ermög­li­chen zu wol­len. Wie nach kur­zem Nach­den­ken jedoch offen­bar wird, ist die­ses nichts als ein teu­res, nutz­lo­ses Ver­spre­chen, was eini­ge Men­schen sehr reich macht. Wir kön­nen und soll­ten den Tod nicht abschaffen.

b) Abso­lut­heits­an­spruch: Die nar­ziss­ti­sche „Bewäl­ti­gung“ der Kri­se setzt sich mit dem Ein­satz von Abso­lut­heits­an­sprü­chen fort. Mar­kus Söder ist ein gutes Bei­spiel dafür. Obwohl jedem schnell klar wer­den müss­te, dass sein Han­deln eigent­lich von per­sön­li­chen Macht­in­ter­es­sen bestimmt ist, wer­den vie­le durch den nach außen kom­mu­ni­zier­ten Abso­lut­heits­an­spruch, die Pan­de­mie voll­stän­dig in den Griff zu krie­gen, ver­führt. Das Phä­no­men der Ver­füh­rung tritt häu­fig als Reak­ti­on auf poli­ti­sche extre­mes Han­deln auf. Wir haben es hier psy­cho­lo­gisch gese­hen mit star­ken Regres­si­ons­wün­schen zu tun. Die­se ent­wi­ckeln sich häu­fig dann, wenn sich das ein­zel­ne Indi­vi­du­um über­for­dert fühlt und vor allem unan­ge­neh­me Gefüh­le, wie Angst und Hilf­lo­sig­keit, nicht mehr ver­ar­bei­ten kann, d.h. kei­ne ange­mes­se­ne Ant­wort in sei­nem Den­ken und Han­deln dar­auf fin­det. Es neigt dann dazu, einen Ret­ter im Außen zu suchen und sich die­sem dann auch zu unter­wer­fen, eben um eine Ent­las­tung im Inne­ren bewerk­stel­li­gen zu kön­nen. Abso­lut­heits­an­sprü­che in der Pan­de­mie füh­ren dar­über hin­aus dazu, dass alter­na­ti­ve Stra­te­gien schnell wie­der ver­wor­fen wer­den, bzw. ihrer Ent­wick­lung gleich am Anfang die Luft abge­dreht wird. Denn wenn man etwas Alter­na­ti­ves (in die­sem Fall z.B. den abso­lu­ten Schutz der Hoch­ri­si­ko­grup­pen, kos­ten­lo­se bun­des­weit zur Ver­fü­gung ste­hen­de Mas­ken bei gleich­zei­ti­ger Öff­nung, kos­ten­lo­se Taxi­fahr­ten für Risi­ko­grup­pen etc.etc,) pla­nen möch­te, dann ist die Vor­aus­set­zung, einen Abso­lut­heits­an­spruch auf­zu­ge­ben. Genau das will man aber vermeiden.

c) Kata­stro­phen­ge­dan­ken: Die Kata­stro­phi­sie­rung einer Situa­ti­on kann bewusst her­bei­ge­führt wer­den (dann han­delt es sich um eine Täu­schung bzw. Mani­pu­la­ti­on) oder sich unbe­wusst Bahn bre­chen. Psy­cho­lo­gisch han­delt es sich dabei um eine Angst­ab­wehr. Wir lei­ten unse­re (zu gro­ßen) Ängs­te um und „brau­chen“ dafür eine Kata­stro­phe. Dies pas­siert immer häu­fi­ger in der Dar­stel­lung der Pan­de­mie nach Außen. Sie wird als eine welt­weit ein­ma­li­ge Kata­stro­phe beschrie­ben. Sie ist aber in Wirk­lich­keit eine Pan­de­mie. Man mag den 2. Welt­krieg als Kata­stro­phe bezeich­nen, sicher­lich wür­de das für einen ato­mar betrie­be­nen 3. Welt­krieg gel­ten. Der Zwang, eine Situa­ti­on unbe­dingt als Kata­stro­phe ein­stu­fen zu wol­len, ist eben­falls eine Angst­ab­wehr. Alles Zwang­haf­te dient aber auch dazu, star­ke Aggres­sio­nen aus dem Bewusst­sein fern­zu­hal­ten. Um sie „umzu­len­ken“ ent­wi­ckeln wir zwang­haf­tes Den­ken und Han­deln. Und ein Mit­tel dazu ist eben die Kata­stro­phi­sie­rung. E scheint, dass die­ser Mecha­nis­mus zum Selbst­läu­fer gewor­den ist und vor allem von den Ent­schei­dungs­trä­gern mit­ge­tra­gen wird.

d) Glo­ba­le Per­son­be­wer­tung: Die glo­ba­le Per­son­be­wer­tung ist ein Phä­no­men, das irgend­wann in Spal­tungs­pro­zes­sen endet. Genau hier­mit haben wir es zu tun: Men­schen, die kri­tisch den­ken oder Auto­ri­tä­ten hin­ter­fra­gen, wer­den „Glo­bal“ bewer­tet, d.h. man hängt ihnen all­ge­mei­ne nega­ti­ve Eigen­schaf­ten an, die man dann an ihnen im Außen bekämp­fen kann. Die­se Phä­no­me­ne gehö­ren zur klas­si­schen Vor­ur­teils­for­schung und schließ­lich zur Erklä­rung von Frem­den­feind­lich­keit. In der Coro­na-Kri­se sind wir nun selbst anein­an­der zum Feind gewor­den. Aus einem eini­ger­ma­ßen funk­tio­nie­ren­den Ver­trau­ens­ver­hält­nis ist ein gegen­sei­ti­ges Miß­trau­ens­ver­hältnnis gewor­den: wir ver­mu­ten, dass jemand der nicht kor­rekt sei­ne Mas­ke trägt, zu unse­rem Mör­der wer­den könn­te. Des­we­gen die teil­wei­se abstru­sen und hass­erfüll­ten Reak­tio­nen auf „Mas­ken­ver­wei­ge­rer“ oder ande­re Per­so­nen, die sich „auf­fäl­lig“ beneh­men, also nicht gemäß der Coro­na-Ver­ord­nun­gen. Auch hier tra­gen die Ent­schei­dungs­trä­ger stark zu die­ser Ent­wick­lung bei, indem sie Spal­tungs­pro­zes­se unter­stüt­zen (Coro­na-Kri­ti­ker = Coro­na-Leug­ner = Rechts = Rechts­ra­di­kal = Lebens­un­wert im Extrem).

Zu 2: Die Pan­de­mie wird sehr stark durch die media­le Beglei­tung mit­er­schaf­fen. Hier wird etwas zu einer Rea­li­tät gemacht – was man eben auch als eine ganz ande­re Rea­li­tät betrach­ten könn­te. So könn­te man z.B. Inzi­denz­wer­te für posi­ti­ve Ereig­nis­se schaf­fen: Wie vie­le Men­schen haben eine Kri­se erfolg­reich über­wun­den? Wie vie­le Men­schen genie­ßen ihr Leben und sind zufrie­den? Wie vie­le Men­schen wur­den von Krebs geheilt? Wie vie­le Men­schen haben Coro­na über­stan­den oder sind nicht dran erkrankt? Wie vie­le Men­schen sind einen wür­de­vol­len Tod bewusst gestor­ben im Krei­se ihrer Freun­de und Ange­hö­ri­gen? Man stel­le sich dazu eine täg­li­che Bericht­erstat­tung mit einem Dut­zend Wie­der­ho­lun­gen vor (wie jetzt bei Coro­na)! Wie wür­de sich das wohl auf die Men­schen aus­wir­ken? Und was wäre, wenn man dar­über berich­te­te, wie vie­le Chan­cen und Mög­lich­kei­ten auch für sol­che Men­schen geschaf­fen wer­den, die zu den Ver­lie­rern unse­rer Gesell­schaft gehö­ren. Wie­viel Gutes man tun könn­te (kon­kret!), wenn man die glo­ba­len Play­er streng besteu­ern wür­de etc etc etc. Wenn man also berich­ten wür­de, dass es das Leben tat­säch­lich gibt (und dass es sich lohnt, sich dar­auf ein­zu­las­sen) Ich muss an die­ser Stel­le zuge­ben, dass hier ein wenig die Pfer­de mit mir durch­ge­gan­gen sind – aber ich hal­te trotz­dem mal an der Mög­lich­keit des Kon­struk­ti­ven fest, auch wenn der Mensch dem Men­schen ein Wolf ist.

Zu 3): Die „Kol­le­te­ral­schä­den“ der Pan­de­mie sind kolos­sal und noch voll­kom­men unab­seh­bar. Sämt­li­che psy­cho­lo­gi­schen Erkennt­nis­se zur Ent­wick­lung des Men­schen und sei­ner Stel­lung in der Welt als Kon­takt­we­sen wer­den sys­te­ma­tisch mit Füßen getre­ten. Am schlimms­ten sind die Kin­der und Jugend­li­chen dran, dann natür­lich die „Ärme­ren Schich­ten“ in der Bevöl­ke­rung, aber auch die Alten und Hoch­be­tag­ten (kein Schutz, nur wie­der Kon­takt­ver­bot). Das, was am destruk­tivs­ten wird ist die Angst­ma­che­rei. Sie unter­höhlt auf Dau­er jedes Selbst­be­wusst­sein, jede Wider­stands­kraft. Zu einem bestimm­ten Zeit­punkt wer­den auch die psy­chisch gesun­den und „Resi­li­en­ten“ dar­auf reagie­ren. Die Angst führt aber auch dazu, dass sich Hilf­lo­sig­keits- und Ohn­machts­ge­füh­le ein­stel­len und die wie­der­um füh­ren zu Aggres­si­on und Wut. Das krank­ma­chen­de dann ist, wenn die­se – ja eigent­lich gesun­de Aggres­si­on – nicht ver­ar­bei­tet wer­den kann und der Mensch die­se Gefüh­le gegen sich selbst rich­tet. Dann wird er irgend­wann krank. Dies trifft natür­lich auch alle die­je­ni­gen, die öko­no­misch von den Fol­gen der Pan­de­mie betrof­fen sind. Ich hal­te dies mit für eines der größ­ten Probleme.

Fazit: Was soll­te also gesche­hen, um die­se Ent­wick­lung zu stop­pen und umzu­lei­ten? Ich kann mir hier nur vor­stel­len, dass die­se Phä­no­me­ne ein­mal in einem rich­ti­gen Rah­men aus­ge­spro­chen und kom­mu­ni­ziert wer­den. Dies könn­te in Form eines lan­des­wei­ten Bür­ger­ra­tes pas­sie­ren, der regel­mä­ßig online tagt und in direk­tem Kon­takt zum Par­la­ment steht. Wich­tig wäre sicher­lich auch die Ein­rich­tung einer Art „Task-Force“, die an einem nöti­gen Stra­te­gie­wech­sel arbei­tet und ent­spre­chen­de Macht­be­fug­nis­se bekommt, Doch dies ist ein eige­nes Thema.

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