Stress ist Erwartungsdruck
Wie oft sagen wir nicht in unserem Alltagsleben „Ich habe Stress“ oder „Das war ganz schön stressig“? Ich nehme an, dass fast jeder von Ihnen – werte Leserin, werter Leser – diese Ausdrucksform kennen und wohl auch selbst anwenden. Aber was ist da eigentlich mit gemeint? Ist es ein körperlicher Zustand, der als unangenehm empfunden wird? Oder eine Aufgabe, der wir uns nicht gewachsen fühlen? Oder ein Gefühlszustand, der erst einmal nicht mit bestimmten Gefühlen beschrieben werden kann?
Das Wort „Stress“ wird immer öfter in der Alltagssprache benutzt und ist dadurch im Grunde immer weniger aussagekräftig. Auch die Medizin bedient sich dieses Begriffes immer häufiger. Der Patient leidet unter Stresssymptomen, er ist stressanfällig oder durch Stress überfordert. Dabei wird das Phänomen „Stress“ in der Medizin fast ausschließlich als ein körperliches Syndrom angesehen, das man vor dem Hintergrund bestimmter Parameter „einfangen“ bzw. beschreiben kann, so u.a. durch Messung des Blutdruckes, des Pulsschlages oder auch dem Nachweisversuch verengter Arterien. Die Ursachen werden allgemein gehalten durch Hinweise auf „Überforderung“, „Probleme in der Beziehung oder am Arbeitsplatz“ oder dem Aufzählen verschiedener Defizite, die die betreffende Person auszeichnet.
Dementsprechend werden dann auch Behandlungsmethoden angeboten. An allererster Stelle steht wohl die Entspannung. Man soll sich vor allem körperlich entspannen, vielleicht durch Spaziergänge in der Natur, Saunabesuche und dergleichen mehr. Beliebt ist auch der Hinweis auf die sog. „Entspannungsverfahren“, wie Yoga, Meditation oder als spezielle psychomedizinische Technik das „Biofeedback“. Bei diesem Verfahren lernt der gestresste Patient durch Rückmeldung seiner körperlichen Stressparameter mit Hilfe medizinischer Geräte eine eigene, selbstgesteuerte Beeinflussung auf diese Parameter zu entwickeln, die dann zu einer Entspannung führen soll.
Alle diese Verfahren können wirken und sind mehr oder weniger hilfreich. Allerdings nur im Sinne einer Symptombehandlung. Der Stress wird direkt angegangen, entweder auf geistiger oder körperlicher Ebene. Noch einmal: Ich will mich hüten, diese Verfahren als unwirksam zu erklären. Mein Anliegen ist aber, der Ursache der Sresssymptomatik auf die Spur zu kommen. Und diese Ursache hat etwas mit unserem Kontakt zur Umwelt zu tun.
Stress ist das Ergebnis eines Konfliktes zwischen dem Individuum und seiner Umwelt. Genauer gesagt, es ist das Ergebnis einer Unfähigkeit, auf einen vorliegenden Konflikt mit der Umwelt adäquat zu reagieren. Worin besteht nun dieser postulierte Konflikt? Nun, der Konflikt hat etwas mit unseren Erwartungen zu tun, die wir an unsere Umwelt richten, den Erwartungen, die unsere Umwelt an uns richtet und der daraus resultierenden Diskrepanz. Ich will etwas, ich wünsche mir etwas, ich habe ein Bedürfnis, einerseits, und andererseits bin ich gleichzeitig konfrontiert mit den Forderungen oder Wünschen meiner Umwelt. Wobei „Umwelt“ meist die relevanten Bezugspersonen oder das relevante Umfeld meint, in dem wir agieren. Das ist z.B. ein Elternteil, ein Partner, ein Arbeitgeber, eine staatliche Institution oder ähnliches. Wohlgemerkt, der Stress entsteht nicht durch das bloße Vorhandensein eines Erwartungskonfliktes, sondern durch die Schwierigkeit, angemessen darauf zu reagieren.
Woran liegt das? Zunächst einmal neigen wir Menschen dazu, unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen. Außerdem sind wir neuropsychologisch so gepolt, dass wir beim Suchen nach einer Lösung immer erst dem allerersten Einfall, der allerersten Assoziation folgen und nicht weiter nachdenken. Ein Beispiel: ich fühle mich körperlich unwohl, ich nehme eine körperliche Spannung in Form von Schmerz oder Verspannung wahr, ich denke, ich müsste zum Arzt (Physiotherapeut, Orthopäde o.Ä.), der Arzt verschreibt Salbe oder Tabletten und überweist mich weiter. An dieser Stelle kann dann ein zirkulierender Rundgang von Arzt zu Arzt stattfinden, wodurch sich im schlimmsten Fall mein Leiden chronifiziert. Oft sagen wir uns dann selbst: „Der Stress hat mich fertiggemacht!“ Damit befinden wir uns in einer hilflosen, manchmal verzweifelten Position wieder.
Was wir nicht merken ist, dass wir ganz am Anfang etwas Wichtiges unterlassen haben. Und das ist die bewusste Reflektion darüber, was diese Stresssymptome eigentlich bedeuten. Wir müssen uns also ganz zu Beginn etwas anstrengen, wir müssen nachdenken und uns möglichen unangenehmen Erkenntnissen über unsere Person stellen. Das Nachdenken nun sollte sich auf das hier relevante Thema, nämlich die eigenen und die fremden Erwartungen und die Diskrepanz zwischen beiden beziehen. Dazu könnten wir folgende Schritte unternehmen:
Wir nehmen uns einen Block und einen Stift, stellen eine ruhige und ungestörte Atmosphäre her. Nun überlegen wir, welche Erwartungen von außen möglicherweise gerade oder in der Letzten Zeit (manchmal auch seit längerer Zeit) an uns gerichtet sind. Wir schreiben Sätze auf, die beginnen mit „Ich muss“ oder „Ich sollte“. Wir versuchen dann, diese Situationen so konkret wie möglich zu beschreiben. Im nächsten Schritt schreiben wir unsere eigenen Erwartungen und Wünsche auf, die den von außen kommenden entgegenstehen. Jetzt überlegen wir zusätzlich, ob die von außen an uns gerichteten Erwartungen möglicherweise auch von uns selbst geteilt werden. Wir versuchen also zu erkennen, ob der Erwartungsdruck von außen dadurch verstärkt werden könnte, dass wir uns den Inhalt der Erwartungen selbst zu eigen gemacht haben! So erhalten wir schließlich drei Spalten oder Blöcke. Hilfreich könnte es bei dieser Vorgehensweise sein, ab einem bestimmten Punkt gute Freunde mit ins Boot zu holen, die uns bei der Aufklärung unseres Problems unterstützen. Jetzt erst überlegen wir, welche angemessenen Reaktionen auf die festgestellte Diskrepanz es geben könnte. Also fragen wir uns ganz konkret, welche einzelnen Schritte notwendig und durchführbar sind, um die Diskrepanz zu verkleinern oder gar aufzuheben.
Eine letzte Bemerkung: falls wir feststellen sollten, dass wir zu dem Ergebnis kommen, dass eine identifizierte Diskrepanz von uns nicht veränderbar scheint, dann nehmen wir uns das Bild einer Kröte zur Hilfe. Sie kennen sicher die Redewendung „Ich habe eine Kröte verschluckt.“ oder „Ich habe eine Kröte schlucken müssen.“. Dies ist genau das Bild für den Zustand, in dem wir uns befinden. Jetzt machen wir uns folgendes klar: es ist eine Tatsache, dass ich eine Kröte schlucken musste (mich anpassen musste, mich in einer ausweglosen Situation befinde u. dgl.), aber ich bin mir dessen voll bewusst, auch wenn es sehr unangenehm ist. Ich verdränge oder leugne diese Tatsache nicht, sondern akzeptiere sie für diesen Moment oder die nächste Zeit. Das bedeutet aber nicht, dass es für immer so bleiben muss. Der Vorteil dieser Überlegung oder Handlungsweise ist, dass wir den Konflikt nicht versuchen abzuspalten, sondern ihn in unserem Bewusstsein halten. Genau dies kann einer drohenden Entwicklung von aufkommenden Stresssymptomen entgegenwirken.
Chronischen Stress abbauen und Burnout vermeiden
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