„Was misst ein Intelligenztest?„#3“

Allgemeine Intelligenz

Historischer Hintergrund von Intelligenztests (IQ-Tests)

Jahr­tau­sen­de­lang kam der Mensch nicht auf die Idee, sei­ne Intel­li­genz zu mes­sen, geschwei­ge einen Intel­li­genz­test zu ent­wi­ckeln. Die Fra­ge danach, wie schlau jemand genau ist, wur­de erst rele­vant, als sozia­le Schich­ten zuneh­mend durch­läs­si­ger wur­den, was Begab­ten erst­mals einen Auf­stieg ermög­lich­te. Dazu muss­te eine all­ge­mei­ne Schul­bil­dung kom­men, die wirk­lich alle Kin­der erreich­te – und eine Wis­sen­schaft wie die Psy­cho­lo­gie, die Instru­men­te zur Unter­su­chung des mensch­li­chen Geis­tes entwickelte.

Der ers­te Intel­li­genz­test wur­de denn auch auf Geheiß eines Erzie­hungs­mi­nis­ters ent­wi­ckelt, um Kin­der iden­ti­fi­zie­ren zu kön­nen, die im nor­ma­len Schul­un­ter­richt nicht mit­ka­men. Das war in Frank­reich, und die Psy­cho­lo­gen Alfred Binet und Théo­do­re Simon lie­fer­ten dem Minis­ter um 1905 das gewünsch­te Pro­dukt. Ihr Test war ein sen­sa­tio­nel­ler Erfolg. Auf der gan­zen Welt sind seit­her Dut­zen­de Fra­ge­bat­te­rien in der Tra­di­ti­on des Binet-Tests ent­stan­den. Vie­le Län­der, von den gro­ßen USA bis zu den klei­nen Nie­der­lan­den, lie­ßen bald jeden neu­en Rekru­ten­jahr­gang auf sei­nen IQ testen.

Die Entwicklung der sozialen Klassen und die Entstehung der Intelligenzmessung:

In der Anti­ke war das Kon­zept der Intel­li­genz­mes­sung noch ein fer­ner Gedan­ke. Die sozia­len Struk­tu­ren waren oft starr, und die Mobi­li­tät zwi­schen den Klas­sen war begrenzt. Begab­te Men­schen waren unab­hän­gig von ihren intel­lek­tu­el­len Fähig­kei­ten auf die Gren­zen ihrer sozia­len Schicht beschränkt. Erst als die sozia­len Schich­ten durch­läs­si­ger wur­den, ergab sich die Mög­lich­keit eines Auf­stiegs. Der Wunsch, Talen­te zu erken­nen und zu för­dern, wur­de zu einem vor­ran­gi­gen Anlie­gen und führ­te dazu, dass eine Mess­grö­ße zur Quan­ti­fi­zie­rung der Intel­li­genz benö­tigt wurde.

Universelle Schulbildung: Ein Katalysator für die Messung von Intelligenz:

Die Ein­füh­rung der all­ge­mei­nen Schul­bil­dung war ein ent­schei­den­der Moment in der Geschich­te der Mensch­heit. Es war der ers­te sys­te­ma­ti­sche Ver­such, allen Men­schen Bil­dung zukom­men zu las­sen und dabei gesell­schaft­li­che Unter­schie­de zu über­win­den. Die­se Demo­kra­ti­sie­rung der Bil­dung wur­de von der Über­zeu­gung getra­gen, dass Intel­li­genz nicht auf eine bestimm­te Klas­se oder Abstam­mung beschränkt ist. Die Her­aus­for­de­rung bestand jedoch dar­in, die­je­ni­gen mit außer­ge­wöhn­li­chen intel­lek­tu­el­len Fähig­kei­ten unter der viel­fäl­ti­gen Schü­ler­schaft zu identifizieren.

Das Aufkommen der Psychologie und die Werkzeuge der Intelligenzanalyse:

Wäh­rend sich die all­ge­mei­ne Schul­bil­dung durch­setz­te, blüh­te das wis­sen­schaft­li­che Gebiet der Psy­cho­lo­gie auf. Psy­cho­lo­gen ver­such­ten, die Geheim­nis­se des mensch­li­chen Geis­tes zu ent­schlüs­seln, und die Intel­li­genz wur­de zu einem zen­tra­len Unter­su­chungs­ge­gen­stand. Die Ent­wick­lung von stan­dar­di­sier­ten Tests und Bewer­tungs­in­stru­men­ten wur­de für die objek­ti­ve Mes­sung kogni­ti­ver Fähig­kei­ten von ent­schei­den­der Bedeutung.

Psy­cho­me­tri­sche Tests, wie der bahn­bre­chen­de IQ-Test von Alfred Binet, wur­den ent­wi­ckelt, um die Intel­li­genz auf eine stan­dar­di­sier­te Wei­se zu quan­ti­fi­zie­ren. Die­se Tests ziel­ten dar­auf ab, die kogni­ti­ven Fähig­kei­ten, die Pro­blem­lö­sungs­kom­pe­tenz und das logi­sche Denk­ver­mö­gen einer Per­son zu bewer­ten. Die Ein­füh­rung sta­tis­ti­scher Metho­den ermög­lich­te die Nor­ma­li­sie­rung der Ergeb­nis­se und damit Ver­glei­che zwi­schen ver­schie­de­nen Populationen.

Herausforderungen bei der Intelligenzmessung:

Der Weg vom Feh­len einer Intel­li­genz­mes­sung zur Ent­wick­lung psy­cho­me­tri­scher Instru­men­te war nicht ohne Her­aus­for­de­run­gen. Die Debat­ten über kul­tu­rel­le Vor­ein­ge­nom­men­heit, sozio­öko­no­mi­sche Fak­to­ren und das Wesen der Intel­li­genz an sich sind nach wie vor aktu­ell. Die Kom­ple­xi­tät der mensch­li­chen Kogni­ti­on wider­setzt sich einer ein­fa­chen Kate­go­ri­sie­rung, und die Ver­su­che, sie in einen ein­zi­gen nume­ri­schen Wert zu fas­sen, haben zu anhal­ten­den Kon­tro­ver­sen geführt.

Schlussfolgerung:

Das Bestre­ben, Intel­li­genz zu mes­sen, ergab sich aus der sich ent­wi­ckeln­den Dyna­mik der sozia­len Struk­tu­ren und dem Wunsch nach Chan­cen­gleich­heit. Die all­ge­mei­ne Schul­bil­dung und die wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­plin der Psy­cho­lo­gie lie­fer­ten die not­wen­di­ge Grund­la­ge für die Ent­wick­lung von Intel­li­genz­tests. Doch auch wenn wir wei­ter­hin die Fein­hei­ten des mensch­li­chen Geis­tes ent­schlüs­seln, blei­ben die Her­aus­for­de­run­gen im Zusam­men­hang mit der Intel­li­genz­mes­sung bestehen. Der Weg von der sozia­len Mobi­li­tät zu psy­cho­me­tri­schen Fähig­kei­ten ist eine fort­wäh­ren­de Erkun­dung, die uns dar­an erin­nert, dass das Stre­ben nach einem Ver­ständ­nis der Intel­li­genz eben­so kom­plex und nuan­ciert ist wie die Köp­fe, die wir zu mes­sen versuchen.

Was wird bei einem Intelligenztest gemessen?

Wich­tig ist: Ein ein­zi­ger IQ-Test kann nie sicher Intel­li­genz mes­sen, schon allein des­halb nicht, weil das Ergeb­nis von der Tages­form abhängt. Wen die eige­ne kogni­ti­ve Leis­tungs­fä­hig­keit inter­es­siert, der soll­te sich unter Auf­sicht von Exper­ten am bes­ten Tests ver­schie­de­nen Designs stellen.

Für Kin­der aus bil­dungs­fer­nen Haus­hal­ten emp­feh­len Lern­for­scher einen Matri­zen­test, etwa wenn unklar ist, ob am Ende der Grund­schu­le eine Gym­na­si­al­emp­feh­lung aus­ge­spro­chen wer­den soll. Die­ser Test funk­tio­niert statt mit Spra­che mit geo­me­tri­schen For­men. Kul­tur­un­ab­hän­gig sind die Matri­zen den­noch nicht, wie die For­schung gezeigt hat: In der Lebens­welt von India­ner­kin­dern im Regen­wald kom­men kei­ne regel­mä­ßi­gen Krei­se, Drei­ecke oder Qua­dra­te vor.

Es gibt aber auch gute Grün­de gegen IQ-Tests bei Kin­dern. Blitz­mer­ker könn­ten sich auf dem Ergeb­nis aus­ru­hen, weni­ger Begab­te dage­gen kom­plett ent­mu­tigt füh­len. Fleiß und Ein­satz kön­nen im Ergeb­nis aber man­chen IQ-Unter­schied ein­deu­tig wett­ma­chen, wie das For­scher­team Els­beth Stern aus Zürich und Aljoscha Neu­bau­er aus Graz ein­drucks­voll bezeugt. Die bei­den emp­feh­len Per­so­nal­chefs, bei der Beset­zung einer Stel­le dem­je­ni­gen Kan­di­da­ten den Vor­zug zu geben, der nach­weis­lich Erfah­rung und Exper­ti­se für die Posi­ti­on mit­bringt – auch wenn des­sen IQ gerin­ger ist als der einer Mit­be­wer­be­rin ohne Erfahrung.

Die meis­ten IQ-Tests bestehen aus ver­schie­de­nen Auf­ga­ben­ty­pen oder „Sub­tests“. Dar­in wer­den sprach­li­che Fähig­kei­ten etwa über Ana­lo­gien getes­tet („dun­kel zu hell ist wie nass zu ?“). Es gibt den Typ „Gemein­sam­kei­ten fin­den“ („Wel­ches Wort passt nicht in die Rei­he Tisch, Stuhl, Vogel, Schrank, Bett?“), Auf­ga­ben zum Wort­schatz sowie zum mathe­ma­ti­schen und räum­lich visu­el­len Den­ken. Zu Letz­te­rem gehö­ren Bil­der mit Wür­feln, die im Geist gedreht wer­den müs­sen, oder Abbil­dun­gen geo­me­tri­scher Ele­men­te, die zusam­men­ge­setzt Figu­ren erge­ben. Bei den Tests läuft stets die Uhr.

Die Anzahl der von der Test­per­son gelös­ten Auf­ga­ben wer­den mit einem an einer gro­ßen, reprä­sen­ta­ti­ven Stich­pro­be gemes­se­nen Mit­tel­wert ver­gli­chen. Die­se Stich­pro­be erfasst Gleich­alt­ri­ge, mit deren Ergeb­nis das indi­vi­du­el­le Resul­tat in Bezie­hung gesetzt wird.

Intelligenztest und Intelligenzquotient

Über den Ver­gleich mit dem Mit­tel­wert wird der Intel­li­genz­quo­ti­ent errech­net. Ein Bei­spiel: Wenn alle getes­te­ten Zwölf­jäh­ri­gen im Mit­tel 58 von ins­ge­samt 79 Auf­ga­ben rich­tig lösen, Kla­ra aber 7 mehr geschafft hat, dann hat sie einen IQ von 115. Ihre 7 extra gelös­ten Auf­ga­ben ent­spre­chen einer soge­nann­ten Stan­dard­ab­wei­chung: eine Maß­ein­heit, die beschreibt, um wie viel höher oder nied­ri­ger als das Mit­tel­maß man liegt. In die­sem Test läge die Stan­dard­ab­wei­chung bei 7 Auf­ga­ben. Anna, die 14 Auf­ga­ben mehr als im Mit­tel gelöst hat, käme auf einen IQ von 130. Die Rech­nung geht so: Kla­ra liegt mit ihrem Ergeb­nis eine Stan­dard­ab­wei­chung (sprich: 15 Punk­te) über dem Mit­tel­wert von 100, auf den alle Tests stets genormt wer­den. Also: 100 plus 15 macht einen IQ von 115. Bei Anna wären es zwei Stan­dard­ab­wei­chun­gen: zwei­mal 15 macht 30, zusam­men mit 100 sind das 130.

Der IQ folgt der soge­nann­ten Nor­mal­ver­tei­lung: Die meis­ten Men­schen grup­pie­ren sich um den Mit­tel­wert 100. Knapp 70 Pro­zent der Bevöl­ke­rung liegt zwi­schen 85 und 115 IQ-Punkten.

Nur rund zwei Pro­zent der Bevöl­ke­rung kom­men auf weni­ger als 70 IQ-Punk­te. Genau­so weni­ge errei­chen das Merk­mal Hoch­be­ga­bung, für das ein IQ ab 130 Richt­wert ist.

Der g‑Faktor

So unter­schied­lich die Auf­ga­ben­ty­pen sind, sie erfor­dern über­wie­gend die­sel­ben kogni­ti­ven Fähig­kei­ten. Dies stell­te der bri­ti­sche Psy­cho­lo­ge Charles Spear­man schon 1904 fest: Ihm fiel auf, dass die meis­ten Men­schen in den ver­schie­de­nen Teil­be­rei­chen – sprach­lich, mathe­ma­tisch, räum­lich-visu­ell – zwar nicht gleich gut abge­schnit­ten haben, aber doch auf­fäl­lig ähn­lich gut. Dar­aus fol­ger­te Spear­man, dass es eine gemein­sa­me Intel­li­genz­res­sour­ce geben müss­te, auf die alle Teil­leis­tun­gen zurück­grei­fen. Er nann­te sie „g“ für „gene­ral factor“.

Ande­re Theo­rien nen­nen die­sen all­ge­mei­nen Fak­tor auch die „flui­de“ (flüs­si­ge) im Gegen­satz zur „kris­tal­li­nen“ (ver­fes­tig­ten) Intel­li­genz – die­je­ni­ge, die auf Wis­sen und Erfah­rung zurück­greift. Vie­le Intel­li­genz­tests rekur­rie­ren auf bei­de Berei­che. Bei Kin­dern kommt mehr die flui­de Intel­li­genz zum Tra­gen, im Alter gewinnt die kris­tal­li­ne an Bedeu­tung. Ins­be­son­de­re der Wort­schatz, ein guter Indi­ka­tor für die kris­tal­li­ne Intel­li­genz, wächst lan­ge an und bleibt oft bis ins hohe Alter erhalten.

Spearm­ans Theo­rie ist seit­dem durch eine Flut von Unter­su­chun­gen bestä­tigt wor­den: Es gibt, ganz klar, eine all­ge­mei­ne Intel­li­genz, die immer wirk­sam wird, wenn wir men­tal Pro­ble­me lösen, wenn wir ler­nen, schrei­ben, ana­ly­sie­ren, rech­nen. Und die­se Intel­li­genz, also der G‑Faktor, hat eine deut­lich höhe­re Erb­lich­keit als die eher spe­zi­fi­schen Fähig­kei­ten. Neu­ro­psy­cho­lo­gen konn­ten mes­sen, wel­che Gehirn­ei­gen­schaf­ten Per­so­nen mit hohem G‑Faktor aus­zeich­net – sie wis­sen dage­gen nicht genau, wel­che struk­tu­rel­len Eigen­schaf­ten Gehir­ne von aus­ge­mach­ten Sprach- oder Mathe­ge­nies haben.

Skepsis unter den Wissenschaftlern am Konzept der Intelligenz

Die Erfor­schung der Intel­li­genz ist eine mehr als hun­dert­jäh­ri­ge Erfolgs­ge­schich­te der Psy­cho­lo­gie. Eine enor­me Fül­le von Stu­di­en aus den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren bestä­tigt ein­drucks­voll die Aus­sa­ge­fä­hig­keit von Intel­li­genz­tests: Sie gehö­ren zu den bes­ten dia­gnos­ti­schen Instru­men­ten der Psychologie.

Den­noch herrscht selbst bei vie­len Psy­cho­lo­gen erstaun­li­che Skep­sis gegen­über dem IQ. Zwei eigent­lich eng ver­wand­te Zwei­ge – die Bega­bungs­for­scher und die Intel­li­genz­for­scher – igno­rier­ten sich hart­nä­ckig gegen­sei­tig, klagt der öster­rei­chi­sche Psy­cho­lo­ge Aljoscha Neu­bau­er, eine der inter­na­tio­nal füh­ren­den Kapa­zi­tä­ten auf bei­den Gebie­ten. Bega­bungs­for­scher wür­den Stu­di­en zur Bedeu­tung des IQ miss­ach­ten, und Intel­li­genz­for­scher scher­ten sich wenig um Bega­bungs­fak­to­ren wie Selbst­dis­zi­plin, Durch­hal­te­ver­mö­gen oder Motivation.

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