„Das Märchen vom „Bruder Stress“ und „Schwester Entspannung““

„Es war ein­mal ein jun­ger Mann, der ging in die Welt hin­aus, um gro­ße Aben­teu­er zu erle­ben. Er lechz­te danach, sei­ne Fähig­kei­ten unter Beweis zu stel­len – er woll­te es allen zei­gen und stolz auf sich sein! Da geschah es, dass er in eine wun­der­schö­ne Stadt kam, mit hohen Tür­men und Zin­nen. Auf denen waren Zei­chen ange­bracht, wie „DB“ oder „BZ“. Da dach­te der jun­ge Mann sich: „Hier möch­te ich blei­ben und zei­gen was ich kann!“ Gesagt, getan. Es dau­er­te nicht lan­ge, und unser jun­ger Held fand eine Anstel­lung bei einem bekann­ten Kauf­mann, der ihn in die Geheim­nis­se der Han­dels­kunst ein­führ­te. Der jun­ge Mann mach­te sich präch­tig und arbei­te­te hart. Er lieb­te sei­ne Tätig­keit und hat­te kaum Zeit für ande­re Din­ge. Mit der Zeit jedoch änder­te sich etwas in sei­nem Ver­hal­ten. Er wur­de unru­hig und wirk­te etwas gehetzt. Auch konn­te er des Nachts nicht mehr rich­tig schla­fen. Eines Tages erwisch­te er sich dabei, dass er anfing zu kla­gen, und noch eine Wei­le spä­ter begann er sogar, den Tag zu ver­flu­chen, an dem er in die gol­de­ne Stadt gekom­men war.

Was war bloß gesche­hen? Ein alter Mann aus der Regis­tra­tur, der den Jun­gen lieb­ge­won­nen hat­te, nahm sich sei­ner an. Er sag­te zu ihm: „Mein Sohn, du arbei­test zu hart und du ver­nach­läs­sigst all die ande­ren wich­ti­gen Din­ge im Leben. Aber das ers­te, was du brauchst, ist Ent­span­nung! Geh, ich zei­ge dir jeman­den, der dir wei­ter­hel­fen kann. Danach wirst du wie­der fröh­lich ins Geschäft kom­men und dei­ne Arbeit brav verrichten!“

Da atme­te der jun­ge Mann erleich­tert auf und war vol­ler Hoff­nung. Er tat so, wie ihm von sei­nem älte­ren Freund gehei­ßen und nahm teil an einem Yoga­kurs. Außer­dem besuch­te er regel­mä­ßig die Ent­span­nungs­kur­se sei­ner Kran­ken­kas­se. Er brauch­te dafür nicht ein­mal selbst zu bezah­len, was ihn froh mach­te! Und sie­he da: nach­dem er gelernt hat­te, wie­der rich­tig zu atmen und sich zu ent­span­nen, konn­te er nachts auch wie­der schön schla­fen. Und er nahm sei­ne alte Tätig­keit mit fri­schem Elan auf, so dass alle von ihm sag­ten: „Was für ein flei­ßi­ger, jun­ger Mann!“ Und wenn er nicht gestor­ben ist, dann lebt er noch heu­te – irgend­wo unter uns.“

Die­ses Mär­chen, lie­be Lese­rin­nen und Leser, kön­nen Sie getrost Ihren Kin­dern vorm Zubett­ge­hen vor­le­sen. Aber hof­fent­lich ver­der­ben Sie dadurch nicht ihren Cha­rak­ter. Ich möch­te Ihnen des­we­gen fol­gen­de Vari­an­te des obi­gen Mär­chens vorlesen:

„Es war ein­mal ein jun­ger Mann, der ging in die Welt hin­aus, … [sie­he oben] … Danach wirst du wie­der fröh­lich ins Geschäft kom­men und dei­ne Arbeit brav verrichten!“

Da über­leg­te der jun­ge Mann einen Moment und hielt inne. „Irgend­et­was stimmt doch hier nicht!“ dach­te er bei sich. Er schau­te dem alten Mann in die Augen und frag­te ihn: „Wie ist es denn eigent­lich bei dir, alter Mann, du sitzt hier schon seit Ewig­kei­ten in der Regis­tra­tur und beklagst dich nie. Bist du zufrie­den mit dei­nem Leben?“ „Zufrie­den?“ ant­wor­te­te der alte Mann ver­wun­dert. „ich habe mein Aus­kom­men, und mir geht es nicht schlecht, Das ist alles, was ich ver­lan­ge. Wenn du auch so den­ken wür­dest und mei­ne Rat­schlä­ge befolgst, dann wird es auch dir schnell wie­der bes­ser­ge­hen!“ Da wur­de der jun­ge Mann furcht­bar wütend. So hat­te er sich das nicht vor­ge­stellt. Tag­ein, tag­aus das­sel­be und schuf­ten ohne Ende – soll­te das sein Ziel sein, das zu errei­chen ihm mit Hil­fe von Ent­span­nung ver­spro­chen wur­de? Nein – so ging das auch nicht, dach­te er bei sich. 

Plötz­lich fiel es ihm wie Schup­pen von den Augen. Was er brauch­te war kein Yoga­kurs und auch kei­ne von der Kran­ken­kas­se bezahl­te Ent­span­nungs­übung, wie „Auto­ge­nes Trai­ning“ oder „Jacob­son“ – son­dern ein kla­res Ziel für sei­ne Wut und sei­ne Ent­täu­schung. Auf wen war er denn eigent­lich wütend? Und wor­über so ent­täuscht? Was hat­te er sich ver­spre­chen las­sen und was hat­te er geglaubt, ohne es zu hin­ter­fra­gen? Da spür­te er plötz­lich eine unge­heu­re Ener­gie in sich, und sei­ne Müdig­keit war ver­schwun­den. Er wuss­te nun, was zu tun war: er wür­de bei dem Kauf­manns­spiel so nicht mehr mit­ma­chen! Und eini­gen Leu­ten wür­de er offen sagen, was er eigent­lich schon immer mit sich her­um­ge­tra­gen hat­te. Plötz­lich fühl­te er sich ent­spann­ter – und da wuss­te er. „Ich bin auf dem rich­ti­gen Weg!“ Und wenn er nicht gestor­ben ist, dann lebt er noch heu­te – irgend­wo unter uns.“

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