Ich möchte an dieser Stelle einmal versuchen, die Gesamtsituation aus psychologischer Sicht zu beleuchten. Meines Erachtens befinden wir uns in einem Prozeß, in dem Glied um Glied in einer Kette von Abläufen aneinandergereiht wird. Dabei kommt es zu „Symptomen“, die nicht verstanden werden, in erster Linie
1. Angst
Es ist wichtig zu verstehen, dass Angst ein psychisches Phänomen darstellt, das sehr vielschichtig ist. Zunächst haben wie die reale Angst, die im Zuge einer Bedrohung aktiviert wird und uns schützen soll, z.B. durch Fluchtreflexe. Auf der anderen Seite leiden wir unter irrationalen Ängsten, die meist auf fehlenden inneren Halt, auf Schamgefühle, auf Hilflosigkeitsgefühle und vor allem auf unterdrückte Wut zurückzuführen ist. All dies sind sehr unangenehme Unlustgefühle, die wir verdrängen möchten – meist weil uns eine Lösung nicht zur Verfügung steht. Damit einher geht auch oft ein vermindertes Selbstwertgefühl. Diese Angst wird in der gegenwärtigen Phase besonders stark geschürt. Natürlich ist damit auch eine andere Angst verbunden, die Angst vor dem eigenen Tod. Aber auch diese Angst bekommt etwas irrationales, wenn wir uns mit dem Tod nicht wirklich auseinandersetzen. Wir brauchen Vorbilder und Unterstützung, um damit umgehen zu können.
2. Wunsch nach Lösung und Erleichterung
Es ist nachvollziehbar, dass ein Mensch in einer solchen Situation möchte, dass ihm diese bedrohlichen Gefühle „abgenommen“ werden, damit er sich nicht mehr so hilflos fühlt. Hier spielt jetzt eine große Rolle, dass der Wunsch nach „Lösung“ auf die Ebene der Autoritäten projiziert wird. Das sind Institutionen, die Regierung, Parteien und natürlich auch „die Experten“. Wenn es gut laufen würde, dann würden nun diese Adressaten versuchen, zu beruhigen und aufzuklären, indem sie alle Beteiligten ansprechen. Alle Beteiligten heißt in diesem Fall eben auch die Skeptiker, die Kritiker, aber auch die Leugner, die Esoteriker, die Rechtsextremen usw. Denn ALLE befinden sich in dieser bedrohlichen Situation.
3. Überforderung und Nichtwissen.
Genau das Gegenteil passiert aber. Die Autoritäten wissen nicht was wirklich zu tun ist, eben weil sie sich in Wirklichkeit selbst hilflos fühlen und verängstigt sind. Das meinen sie aber nicht zugeben zu dürfen! Sie greifen nun zu einem Mittel, das altbekannt ist:
4. Die Zurverfügungstellung von Stereotypen und falschen Ursachen
Die Institutionen der Gesellschaft und ihre Vertreter stellen Projektionsflächen zur Verfügung, indem sie eine bestimmte Gruppe (immer eine Minderheit) als „die Bösen“ hinstellen, als diejenigen, die sich in einer bestimmten Weise am Unglück der Anderen schuldig gemacht haben (so.)
5. Projektive Identifizierung
Was folgt ist nicht ganz einfach zu beschreiben. Ich versuche es trotzdem. Der Einzelne, der ängstlich und verunsichert ist, findet in der von Außen dargebotenen Projektionsfläche eine Möglichkeit, von seinen eigenen Unlustgefühlen abzulenken, indem er diese auf die Minderheit projiziert. Aber es geht noch einen Schritt weiter. Es ist nicht nur eine reine Projektion (projizieren tun wir eigentlich alle), sondern es ist die vollständige Hineingabe des eigenen destruktiven Anteiles in diese Gruppe. Die ganze Wut, die man hat, ist man damit in einem Schlag los, darüber hinaus hat man nun auch noch die Möglichkeit, sich an den Anderen zu rächen oder sie zu bestrafen, ohne dass dabei Schuldgefühle entstehen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Man kann sich tatsächlich vollständig von seinen negativen Gefühlen befreien. Man bekämpft sie nun im Anderen. Das ist mit Identifizierung gemeint.
6. Rechtfertigung der Machtinhaber
Die Machthaber (Autoritäten) haben nun ebenfalls einen Vorteil und einen Ausweg gefunden. Sie können vom eigenen Versagen ablenken, indem sie den Zeigefinger weiter auf die Minderheit richten. Außerdem können sie sich des Einverständnisses der Mehrheit sicher sein. Es wird eine Art gemeinsames Bündnis geschmiedet.
7. Zerstörung und Auslöschung
Im Extremfall kommt es dann zur vollständigen Vernichtung der Minderheit, wie wir sie in der NS-Zeit – aber auch in vielen anderen gesllschaftlichen Situationen – erlebt haben.
Notabene: ich möchte jetzt nicht auf den simplen Vorwurf hinaus, wir lebten schon wieder im Faschismus o.dgl. Das tun wir nicht. Aber die Gefahr besteht, dass wenn diese Dynamik sich weiter zuspitzt, so etwas Ähnliches sich entwickeln könnte.
8. Was ist zu tun?
Als erstes wäre es gut, wenn diese Zusammenhänge einmal angesprochen werden würden, und zwar so, dass sie auch verstanden werden. Ich weiß wie schwierig das ist. Vielleicht wäre auch eine Idee, einen vom Parlament unabhängigen Bürgerrat einzurichten, in dem von allen Gruppen (vor allem denen, wo es zu einer Spaltung gekommen ist) teilnehmen würden. Meinetwegen öffentlich im TV – statt Plasbergs „Hart aber Fair“ oder „Markus Lanz“. Die letztgenannten sind beide am Spaltungsprozeß, wie ich ihn oben beschrieben habe, beteilgt. Andere Lösungsvorschläge gibt es sicher einige. Das soll jetzt nicht mein Thema sein.