In seinem zweiten Lehrsatz weist Spinoza zunächst auf die Macht unserer Gedanken hin, seien sie nun positiver oder negativer Art. Wenn diese Gedanken mit einer äußeren Ursache verknüpft werden, so folgen daraus bestimmte Emotionen oder Gefühle bzw. Körperempfindungen. So führt z.B. der Gedanke, dass man sich nach einer zurückliegenden Demütigung (= äußere Ursache) nicht wehren konnte („Ich war schwach und hilflos“) zu einer Emotion wie Wut und einem Gefühl von Schwäche und einer Körperempfindung von Gelähmtsein. Der nächste Schritt in Spinozas These besteht darin, diese Verknüpfungen zu „löschen“ bzw. aufzuheben, um sie dann mit anderen Gedanken zu verbinden. Er schlussfolgert, dass in diesem Augenblick auch die sich am Anfang gebildeten Affekte und die sich daraus ergebenden Gemütsschwankungen legen bzw. ganz zum erliegen kommen. Dies gilt nicht nur für negative Affekte (Hass) sondern auch für positive (Liebe). Denn auch aus positiven Gefühlen können unangemessene Reaktionen hervorgerufen werden (z.B. ein Gefühl der Abhängigkeit).
Fortsetzung des Kapitels:
Über die Macht der Erkenntnis, oder die menschliche Freiheit
Zweiter Lehrsatz
Wenn wir eine Gemütsbewegung oder ihren Affekt von dem Gedanken der äußern Ursache trennen und mit anderen Gedanken verbinden, so werden die Liebe oder der Hass gegen die äußere Ursache wie auch die Schwankungen des Gemüts, die aus diesen Affekten entspringen, vernichtet werden.
Spinoza entwirft hier in einem einzigen Satz ein ganzes Modell moderner Psychotherapie und nimmt wiederum viele aktuelle Ergebnisse aus der Neuropsychologie vorweg. So geht z.B. auch die „Kognitive Verhaltenstherapie“ davon aus, dass unangemessene Verknüpfungen zwischen Reiz (=Trauma) und Reaktion (= Gedanke) zu negativen Gefühlen und Körperempfindungen führen und damit letztlich zu einer Symptomatik wie Depression oder Angst. Der Austausch dieser unangemessenen Gedanken gegen angemessene (z.B. eine realistische Einschätzung gewinnen, nachdem man in Katastrophendenken verfallen war) führt zu einer Neutralisierung negativer Gefühle und Emotionen (Affekte) und zu einer entspannteren Körperwahrnehmung (Stressreduktion). Noch einmal: dieses gilt nicht nur für negative Verknüpfungen sondern auch für positive, wenn diese ein schädliches, d.h. unangemessenes Maß erreicht haben (z.B. übertriebene Sorge, vereinnahmende Liebe oder sich kleinmachende Bewunderung).
Hier finden Sie eine Übung zur Selbsthilfe, unser Anti-Stresstrainung gegen Selbstunsicherheit, mit ausführlicher Einführung und einem fertigen Übungsprogramm mit Übungsbögen.