„Der „Gläserne Patient“ im Gesundheitswesen“

Anfang der 80er Jah­re habe ich mit mei­ner psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Tätig­keit begon­nen. Schon damals (und erst recht damals) war die psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Behand­lung Vor­ur­tei­len und nega­ti­ven Bewer­tun­gen aus­ge­setzt. Ich erin­ne­re mich, dass vor allem von beam­te­ten Pati­en­ten der Wunsch geäu­ßert wur­de, pri­vat zu bezah­len, um nicht mit ihren per­sön­li­chen Daten in irgend­ei­nem Sys­tem zu lan­den, das die­se Infor­ma­tio­nen zu eige­nen Zwe­cken wei­ter­ver­ar­bei­ten wür­de. In die­sen Fäl­len bezog sich die Vor­sicht auf den öffent­li­chen Arbeit­ge­ber, aber auch auf Ren­ten­kas­sen und ande­re Versicherungen. 

Die Spei­che­rung der Daten war aller­dings in die­ser Zeit – im Ver­gleich zu heu­te – noch sehr viel siche­rer: es muss­te nur dar­auf geach­tet wer­den, dass die Pati­en­ten­ak­ten ordent­lich in der Pra­xis ver­schlos­sen auf­be­wahrt wur­den. Von einem Ein­bruch in eine Pra­xis, um an sol­che Daten zu gelan­gen, konn­te man – und kann man auch noch heu­te – wohl kaum aus­ge­hen. Natür­lich gab es damals wie heu­te kei­ne 100 pro­zen­ti­ge Sicher­heit. Die Schwei­ge­pflicht des Behand­lers war – und ist – eine Selbstverständlichkeit.

Im Lau­fe der Jah­re und Jahr­zehn­te hat die­se Sicher­heit ste­tig abge­nom­men, man muß aber sagen, dass vor allem die letz­ten 10 Jah­re eine gera­de­zu ekla­tan­te Ände­rung mit sich gebracht haben. Dies liegt an der Digi­ta­li­sie­rung der Daten und ihrer zen­tra­len Spei­che­rung. Bis vor einem Jahr konn­te man als Arzt oder Psy­cho­the­ra­peut z.B. sei­ne Quar­tals­ab­rech­nung bei den Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen per­sön­lich abge­ben. Die Daten waren auf einer CD gespei­chert und ver­schlüs­selt. Eine Spei­che­rung im Inter­net fand also nicht statt. Dies hat sich jetzt ent­schei­dend geän­dert; Ärz­te und Psy­cho­the­ra­peu­ten MÜSSEN (!!!) die Pati­en­ten­da­ten über das Inter­net an die jewei­li­ge KV wei­ter­ge­ben. Das damit in Zusam­men­hang ste­hen­de Prin­zip ist die soge­nann­te „Tele­ma­tik-Infra­struk­tur“. Hin­ter die­sem fach­chi­ne­si­chem Begriff (typisch auch die Unver­ständ­lich­keit für den Lai­en) ver­birgt sich die Umstel­lung der Pra­xen auf die neue Über­tra­gungs­me­tho­de unter Zuhil­fe­nah­me spe­zi­el­ler tech­ni­scher Gerä­te („Kon­nek­to­ren“), die die Ver­bin­dung zwi­schen Pra­xis und KV-Netz gewährleisten. 

Das ist jedoch noch lan­ge nicht alles. Im Zuge des Ein­sat­zes neu­er Kran­ken­ver­si­che­rungs­kar­ten wer­den zukünf­tig auch Kran­ken­da­ten und Dia­gno­sen gespei­chert, mit der Begrün­dung, dies wür­de die Über­sicht über die Kran­ken­ge­schich­te des ein­zel­nen Pati­en­ten ver­ein­fa­chen und Kos­ten spa­ren, so z.B. durch Ver­mei­dung über­flüs­si­ger Arzt­be­su­che. Dies ist in der Pra­xis eine Milch­mäd­chen­rech­nung. Die Ein­füh­rung des neu­en Sys­tems hat sowohl auf Hard­ware- als auch Sot­ware­ba­sis und bei der Betreu­ung des Sys­tems enor­me Kos­ten ver­schlun­gen. Und: sie ist äußerst anfäl­lig gegen tech­ni­sche Stö­run­gen. Ein wei­te­res Pro­blem ist die dar­aus resul­tie­ren­de tota­le Abhän­gig­keit des/der Behandlers/in von exter­nen Spe­zia­lis­ten, die bei einer Stö­rung hin­zu­ge­ru­fen wer­den müssen. 

Das größ­te Pro­blem ist aber die zen­tra­le Spei­che­rung der Daten selbst. Hier wird der „Glä­ser­ne Pati­ent“ geschaf­fen. Man muß sich nur ein­mal über­le­gen, wel­che enor­men Begehr­lich­kei­ten hier geweckt wer­den. Das betrifft nicht nur die Kran­ken­kas­sen, son­der auch vie­le ande­re „Play­er“ im Sys­tem. Ren­ten­kas­sen, Ver­si­che­rungs­ge­sell­schaf­ten und Arbeit­ge­ber wer­den in Ver­su­chung gebracht, auf die­se Daten zuzu­grei­fen – in lega­ler aber auch sicher ille­ga­ler Form. Denn ein psy­cho­lo­gi­sches Prin­zip – eigent­lich eine Bin­sen­weis­heit – kommt in die­sem Zusam­men­hang zum tragen:

Was gemacht wer­den kann, das wird auch gemacht.

Ein wei­te­rer Effekt ist die Ver­la­ge­rung der Behand­lun­gen in das Inter­net. Dies gehört auch zum Phä­no­men der Digi­ta­li­sie­rung. Die Kas­sen bezah­len z.B. jetzt schon Anbie­ter im Netz, die psy­cho­lo­gi­sche Bera­tung Online anbie­ten. Und die Gren­zen zwi­schen Bera­tung und The­ra­pie wer­den dadurch auf­ge­weicht. Es kommt mit­tel­fris­tig zu einer Beschnei­dung von „ana­lo­gen“ Ange­bo­ten. Schon jetzt kann fest­ge­stellt wer­den, dass die the­ra­peu­ti­schen Ver­fah­ren, die eine län­ge­re Behand­lungs­zeit erfor­dern – wie z.B. die Psy­cho­ana­ly­se – um ihren Fort­be­stand fürch­ten müs­sen. Auch ande­re The­ra­pei­ver­fah­ren wer­den gekürzt bzw. in klei­ne­re Stu­fen von 12 Behand­lungs­sit­zun­gen auf­ge­teilt. Dabei wer­den natür­lich auch die Behand­lungs­zie­le ver­än­dert. Eine rei­ne Sym­ptom­ori­en­tie­rung zwingt die Behand­ler dazu, die Bezie­hung zwi­schen ihm und dem Pati­en­ten rein öko­no­misch zu betrach­ten: alles was schnell geht wird bes­ser bezahlt als das was län­ger dauert. 

Es ist im Grun­de eine Ent­wer­tung des eigent­li­chen Hei­lungs­prin­zips: der Bezie­hung zwi­schen Arzt/Psychotherapeut und Pati­ent. Obwohl seit län­ge­rer Zeit schon in wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen immer wie­der genau die­ses Prin­zip in sei­ner Wir­kungs­kraft bestä­tigt wird.

Bezie­hung heilt.

In der Öffent­lich­keit regt sich kein Wider­spruch. All die­se Ver­än­de­run­gen ver­lau­fen rela­tiv unbe­merkt und wer­den auch von den Medi­en kaum reflek­tiert. Wahr­schein­lich wird auch hier erst abzu­war­ten sein, bis die ers­ten Miß­brauchs­skan­da­le ans Tages­licht kom­men. Aber dann ist es womög­lich schon zu spät. Unser Zug fährt auch in Bezug auf unse­re Gesund­heit in Rich­tung chi­ne­si­schem Überwachungswahns.

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