Historische Einordnung der Aggression – Triebe, Motive, Emotionen, Gefühle
Der Begriff „Aggression“ ist aus dem Lateinischen hergeleitet, und zwar von dem Wort „aggredi“, herangehen an etwas, angreifen. Ich bevorzuge die neutrale Bedeutung „an eine Sache herangehen“, weil es der biologischen Funktion des Organismus, sich in der Umwelt zu orientieren und sich durchzusetzen am ehesten entspricht. Wir befinden uns hier also auf einer entwicklungsgeschichtlich frühen Stufe, in der die grundlegenden Emotionen, die notwendig waren, um sich weiterzuentwickeln und zu überleben wahrscheinlich noch in ursprünglicher Form das Wesen des Menschen ausgemacht haben.
Später kamen dann komplexere „Programme“ hinzu, bis hin zu den erstaunlichsten Leistungen des Homo Digitalis, ohne die die Form der Kommunikation, die Sie als Leser/in gerade benutzen, nicht möglich wäre. Ein sinnvolles Klassifikationsschema unterscheidet
1. Triebe und Motivationen,
2. Emotionen (grundlegende und soziale) und
3. Gefühle.
Zu den Trieben zählen wir in erster Linie Hunger, Durst, Neugier, Erkundungsdrang, Spiel und Sexualität.
Zu den grundlegenden Emotionen fallen u.a. (die Wissenschaft ist sich da noch nicht ganz einig) die Furcht, Trauer, Wut, Freude, Ekel. Unter die sozialen Emotionen fallen Mitgefühl, Verlegenheit, Scham, Schuldgefühle, Stolz, Eifersucht, Neid, Dankbarkeit, Bewunderung, Entrüstung und Verachtung (nach Damasio, Antonio, „der Spinoza-Effekt“, List TB 2013, S. 58).
Die Gefühle schließlich, die mit den Emotionen eng zusammenhängen, arbeiten mit den mentalen Prozessen zusammen, wobei kognitive Prozesse (Aufmerksamkeit, Gedanken) eine zentrale Rolle spielen. Einen schrittweisen Ablauf können wir uns also schematisch so vorstellen: zunächst weisen uns die Triebe einen Weg zum Überleben des Organismus, dann kommen die Emotionen ins Spiel, die uns grundsätzlich unterscheiden lassen, was „gut“ oder „schlecht“ für uns ist. Und ganz oben helfen uns die Gefühle, „im fruchtbaren Zusammenwirken zwischen Gedächtnis, Vorstellungsvernögen und Denken zur Entwicklung von Voraussicht und der Fähigkeit, neue, nicht-stereotype Reaktionen zu entwickeln.“ (a.a.O. S. 99)
Zurück zur Aggression. Wir stellen fest, dass es sich dabei grundsätzlich um ein notwendiges, postives Gefühl handelt, dem die Emotion der Wut zugeordnet ist. Wenn ich sage „Ich fühle mich aggressiv“, dann liegt dem wahrscheinlich die Emotion „Wut“ zugrunde. In diesem Sinne sprechen wir auch von „gesunder Wut“. Man sieht hier schon, wie schnell sich in diese Betrachtung Fallstricke einschleichen können. Das liegt daran, dass die Begrifflichkeiten, mit denen wir es hier zu tun haben, im Laufe der Entwicklung eine immer negativere Bedeutung bekommen haben.
„Aggression“ wird oft mit etwas Unerwünschtem assoziiert; Wut oft ebenso. Dazu kommen geschlechtsrollenspezifische Zuweisungen. Der Mann ist der „Aggressor“, die Frau das „Opfer“. Offenbar werden vor diesem Hintergrund Frauen „Aggressionen“ in bestimmten Situationen abgesprochen. Es bildet sich eine pauschale „Täter-Opfer“ Beziehung heraus. Diese Tatsache ist wichtig, denn sie beeinflusst auch die Sichtweise „schädlicher“ und „unangemessener“ Aggressionen und ihre Behandlung, wie wir später sehen werden. Natürlich ist diese Form von Zuschreibung unsinng; sowohl Männer als auch Frauen brauchen ein hohes Maß an (gesunder) Aggression und dazu zählt auch die Emotion der Wut.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass in der Kindererziehung häufig die negativen Bewertungen einer eigentlich „gesunden Sache“ zu schädlichen Erziehungsmaßnahmen und – stilen führen: vor allem dann, wenn Kindern aggressives Verhalten oder das Zeigen von Wut als „nicht in Ordnung“ ausgelegt wird, ja oft zu Bestrafungen führt. Dieses elterliche Verhalten kann dazu führen, dass es diese Kinder im späteren Leben schwer haben, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. Sie neigen dann möglicherweise zu Anpassung und manipulativem Verhalten. Wut und Aggression soll und darf also grundsätzlich sein!
Selbstverständlich stellt sich hier die Frage, wie sich denn ein solches Gefühl, zu dem wir oft negative Assoziationen haben und das sich dann „ersatzweise“ in Film und TV zeigen darf, ohne sanktioniert zu werden, nach Außen hin zum Ausdruck bringen sollen. Dies ruft den „Geist“ auf den Plan. Denn die geistigen Prozesse, die wir lernen, führen uns hin zu einer angemessenen Ausdrucksweise der Aggression, sei es auf sprachlicher oder non-verbaler Ebene. Hier hilft uns der Begriff der „Abgrenzung“ weiter.
Man könnte sagen, dass ein gesunder Mensch in erster Linie dadurch gekennzeichnet wird, wie er sich nach Außen abgrenzen kann. Und wie er „Nein!!!) sagen kann. Das ist das, was Kleinkinder lernen, wenn sie beginnen, ihr eigenes „Selbst“ eben genau mit diesem aggressiven Ausdruck zu kommunizieren: „Das will ich nicht!“, „Das ist mir zuviel!“, „Das schmeckt mir nicht“ – im Wechsel mit „Genau das will ich!“ und „Genau das schmeckt mir!“. Entwicklungsgeschichtlich kommt erst das „ja“, dann das „Nein“. Wenn wir später Schwierigkeiten haben, dann müssen wir erst wieder das „Nein“ lernen, um danach zum „Ja“ vorstoßen zu können.
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