Scham ist eine Emotion, die wir alle erlebt haben – sei es wegen eines peinlichen Moments in der Vergangenheit oder weil wir uns für etwas schämen, das wir getan haben. Aber was genau ist Scham, und warum fühlen wir uns so unbehaglich, wenn wir sie empfinden?
Inhaltsverzeichnis
Definition von Scham
In der Psychologie wird Scham als eine nach innen gerichtete Angst definiert, die entsteht, wenn wir das Gefühl haben, dass wir gegen unsere eigenen moralischen oder sozialen Standards verstoßen haben. Im Gegensatz zur Schuld, die sich auf das Verletzen von Regeln oder Erwartungen anderer bezieht, geht es bei Scham um das Gefühl, dass wir selbst unzulänglich oder gar „überflüssig“ sind.
Eine Studie, die dies illustriert, ist die Arbeit von Brene Brown, einer Sozialwissenschaftlerin, die Scham erforscht hat. Brown führte Interviews mit Menschen durch, die sich als „verletzlich“ beschrieben und fand heraus, dass Scham oft mit der Angst verbunden ist, nicht gut genug zu sein oder nicht in die Gemeinschaft zu passen. Sie argumentiert, dass Scham daher eine nach Innen gerichtete Angst ist, die mit dem Wunsch zusammenhängt, akzeptiert und respektiert zu werden.
Folgen von Scham
Aber warum fühlen wir uns so unwohl, wenn wir Scham empfinden? Ein Teil der Antwort liegt darin, dass Scham uns dazu bringt, uns von anderen zu isolieren. Wenn wir uns schämen, fühlen wir uns oft so, als ob wir allein mit unserem Geheimnis oder unserer „schlechten Tat“ sind – und dass, wenn wir uns jemandem öffnen würden, er uns ablehnen oder verurteilen würde. Diese Angst vor Ablehnung kann dazu führen, dass wir uns von anderen Menschen zurückziehen und uns von ihnen distanzieren, was unser soziales Leben beeinträchtigen kann.
Darüber hinaus gibt es einige Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass Scham eine Rolle bei der psychischen Gesundheit spielen kann (siehe auch: Kim S, Thibodeau R, Jorgensen RS. Shame, guilt, and depressive symptoms: a meta-analytic review. Psychol Bull. 2011 Jan;137(1):68–96. doi: 10.1037/a0021466. PMID: 21219057). Einige Studien haben gezeigt, dass Menschen, die unter chronischen Schamgefühlen leiden, häufiger an Angstzuständen und Depressionen leiden. Daher ist es wichtig, dass Scham nicht als eine „negative“ Emotion betrachtet wird, sondern als eine komplexe Emotion, die eine wichtige Rolle im sozialen Leben spielt.
Körperlicher Ausdruck von Scham
Ein weiterer interessanter Aspekt von Scham ist, dass sie oft mit körperlichen Empfindungen einhergeht. Zum Beispiel können Menschen, die sich schämen, ein heißes Gefühl im Gesicht oder einen beschleunigten Herzschlag verspüren. Einige Forscher argumentieren, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass Scham eine „körperliche“ Emotion ist, die in bestimmten Teilen des Gehirns ausgelöst wird. Diese körperlichen Empfindungen können dazu beitragen, dass Menschen ihr Verhalten ändern und sich wieder an die sozialen Normen anpassen (siehe auch: Shirley Davis, „Healing from Toxic Shame“).
Unterschiede zwischen Scham und Schuldgefühl
Scham und Schuldgefühl sind zwei Emotionen, die oft miteinander verwechselt werden. Beide Gefühle können sich ähnlich anfühlen und beide können unangenehm sein. Dennoch gibt es deutliche Unterschiede zwischen den beiden Emotionen, die es wert sind, näher betrachtet zu werden.
Scham ist ein Gefühl der Peinlichkeit, der Bloßstellung und der Demütigung. Es tritt auf, wenn wir das Gefühl haben, dass wir in den Augen anderer Menschen versagt haben oder dass wir nicht den Erwartungen entsprochen haben. Scham ist ein starkes emotionales Signal, das uns dazu auffordert, uns von einer bestimmten Situation oder Verhaltensweise zurückzuziehen, um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden. Scham ist in der Regel eine nach innen gerichtete Emotion und kann zu negativen Gedanken und Gefühlen wie Minderwertigkeit und Selbstzweifel führen.
Im Gegensatz dazu ist Schuldgefühl eine nach außen gerichtete Emotion, die auftritt, wenn wir glauben, dass wir gegenüber anderen eine Verpflichtung oder Verantwortung nicht erfüllt haben. Schuldgefühle können entstehen, wenn wir jemandem Unrecht getan haben oder wenn wir eine Regel gebrochen haben, die für uns oder andere wichtig ist. Schuldgefühle können uns dazu bringen, unsere Handlungen zu überdenken und zu versuchen, eine Lösung für das Problem zu finden (siehe auch: Tracy, J. L., & Robins, R. W. (2006). Appraisal antecedents of shame and guilt: Support for a theoretical model. Personality and Social Psychology Bulletin, 32(10), 1339–1351.)
Ein wichtiger Unterschied zwischen Scham und Schuldgefühl besteht darin, dass Scham in der Regel mit einem negativen Selbstbild verbunden ist, während Schuldgefühl mit einem negativen Verhalten verbunden ist. Mit anderen Worten, Scham sagt uns, dass wir schlechte Menschen sind, während Schuldgefühl uns sagt, dass wir etwas Falsches getan haben. Schuldgefühle können uns dazu bringen, unser Verhalten zu ändern, während Scham uns dazu bringen kann, uns von Menschen und Situationen fernzuhalten, die uns unangenehm sind (siehe auch: Tangney, J. P., & Dearing, R. L. (2002). Shame and Guilt. Guilford Press.)
Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Scham und Schuldgefühl besteht darin, dass Schuldgefühle oft mit der Wiedergutmachung verbunden sind. Wenn wir uns schuldig fühlen, haben wir das Bedürfnis, uns zu entschuldigen oder etwas zu tun, um die Situation wieder gut zu machen. Scham hingegen kann uns dazu bringen, uns zurückzuziehen und uns von anderen zu isolieren.
Es ist auch wichtig zu beachten, dass Scham und Schuldgefühl in unterschiedlichem Maße und in unterschiedlichen Situationen auftreten können. Zum Beispiel können Menschen, die in einer Kultur aufgewachsen sind, in der Scham als eine wichtige soziale Norm angesehen wird, häufiger Scham empfinden als Menschen in einer Kultur, die Schuldgefühle bevorzugt. Außerdem können individuelle Unterschiede wie Persönlichkeit, Erfahrungen und Erwartungen dazu beitragen, dass Menschen unterschiedlich auf Scham und Schuldgefühle reagieren.
Das Positive an der Scham
Das Gefühl der Scham wird oft als negativ empfunden. Es kann uns unwohl fühlen lassen und uns peinlich berühren. Aber es gibt auch eine positive Seite der Scham, die oft übersehen wird.
Scham ist ein natürliches Gefühl, das wir alle erleben. Es ist ein Hinweis darauf, dass wir uns in einer unangenehmen oder moralisch unpassenden Situation befinden. Es zeigt uns, dass wir gegenüber uns selbst oder anderen eine Verantwortung haben und uns dieser bewusst sein sollten. Scham kann auch dazu beitragen, dass wir uns bemühen, uns zu verbessern und moralischer zu handeln.
In der Tat haben einige Psychologen, wie z.B. Michael Lewis argumentiert, dass Scham als soziale Emotion eine wichtige Funktion hat. Es hilft uns, in einer Gemeinschaft zu leben, indem es uns erlaubt, Verhaltensweisen zu vermeiden, die uns oder anderen schaden könnten. Scham ist auch ein Weg, um uns daran zu erinnern, dass wir nicht perfekt sind und dass wir in der Lage sein sollten, aus unseren Fehlern zu lernen.
Ein weiterer positiver Aspekt der Scham ist, dass sie uns in die Lage versetzen kann, Vergebung zu erlangen. Wenn wir uns schämen, zeigen wir, dass wir Verantwortung für unser Handeln übernehmen und uns für unser Fehlverhalten entschuldigen wollen. Dies kann dazu führen, dass andere uns eher vergeben und wir wieder in eine positive Beziehung treten können.
Scham kann auch dazu beitragen, dass wir uns auf unsere moralischen Werte besinnen. Wenn wir uns schämen, weil wir gegen unsere moralischen Überzeugungen verstoßen haben, können wir uns wieder darauf besinnen, was uns wichtig ist. Wir können lernen, unser Handeln besser auf unsere Werte auszurichten und moralischer zu handeln.
Ein weiterer positiver Aspekt der Scham ist, dass sie uns demütig machen kann. Scham kann uns daran erinnern, dass wir menschlich sind und dass wir alle Fehler machen können. Sie kann uns auch daran erinnern, dass wir uns nicht immer auf uns selbst verlassen sollten, sondern dass wir Hilfe von anderen annehmen können.
Insgesamt gibt es viele Gründe, warum Scham als eine positive Emotion betrachtet werden kann. Sie kann uns helfen, moralischer zu handeln, uns auf unsere Werte zu besinnen, Vergebung zu erlangen und uns demütiger zu machen. Wir sollten jedoch auch darauf achten, dass Scham nicht unser Leben dominiert und uns daran hindert, unser volles Potenzial auszuschöpfen. Wenn wir lernen, Scham in einem positiven Kontext zu betrachten, können wir unser Leben und unsere Beziehungen verbessern.
Letztendlich ist Scham eine komplexe Emotion, die viele Facetten hat und von Person zu Person unterschiedlich empfunden wird. Aber indem wir uns damit auseinandersetzen und lernen, damit umzugehen, können wir uns selbst besser verstehen und wachsen – sowohl als Individuum als auch als Mitglied unserer Gesellschaft.
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