Baruch de Spinoza beschäftigt sich in seiner zweiten Grundthese mit dem Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung.
Fortsetzung des Kapitels:
Über die Macht der Erkenntnis, oder die menschliche Freiheit
Axiom II
Das Vermögen der Wirkung wird durch das Vermögen der Ursache selbst bestimmt, sofern ihr Wesen durch das Wesen der Ursache selbst erklärt oder bestimmt wird.
Dies ist die zweite, grundlegende Voraussetzung, die Spinoza für seine Ethik im Kapitel „Über die Macht der Erkenntnis, oder die menschliche Freiheit“ einführt. Sie ist für ein Verständnis unseres Fühlens und Handelns unverzichtbar und hat Auswirkungen vor allem auch auf die therapeutische Praxis – und auf den Prozeß der Selbsterkenntnis beim Meditieren oder für unsere Übungen.
Ziehen wir gleich zur Verdeutlichung seiner These ein praktisches Beispiel heran:
Ein Kind ist in der Obhut seiner Eltern (oder eines Elternteiles) und wird wegen einer Handlung, die den Eltern nicht gefällt oder die negative Gefühle in ihnen hervorruft, gedemütigt oder gar der Lächerlichkeit preisgegeben. Vielleicht weist das Kind stolz und laut darauf hin, was ihm gerade gelungen ist. Nun wird das Kind von der Bezugsperson nicht gelobt oder ermuntert sondern zurechtgewiesen oder sogar beschämt. Dies erlebt das Kind als Kleingemachtwerden oder Demütigung. Es entwickelt von sich selbst ein Bild einer beschämten Person. Dies ist aber nicht sein eigenes Bild, sondern das der Bezugsperson, die das Kind ablehnend angeschaut und behandelt hat.
Wenn wir diese Szene nun auf Ursache und Wirkung hin untersuchen, dann besteht das Wesen der Ursache in der Demütigung. Das Wesen der Wirkung ist das negative Bild, dass das Kind von sich selbst nun in sich trägt. Das Wesen dieses Selbstbildes kann also aus dem Wesen der Ursache (der Beschämung) erklärt werden. Beide hängen unmittelbar zusammen. Das Entscheidende für unsere Praxis ist nun, dass diese Verbindung zwischen Ursache und Wirkung für das spätere Leben des Kindes beibehalten wird. Wenn also später ein ähnlicher Ursache-Wirkungs-Zusammenhang auftritt, dann wiederholt sich der anfängliche Prozeß: eine Beschämung führt wieder zu einem negativen Selbstbild. Die Person hat dann große Schwierigkeiten, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln (denn dazu bräuchte es ein positives, ermutigendes Bild seiner selbst).
Übung
Versetzen Sie sich bitte wieder in einen meditativen Entspannungszustand und gehen dabei von unserer Grundübung aus. Versuchen Sie dann ein Bild aus der Vergangenheit zu finden, indem Sie sich gedemütigt oder kleingemacht gefühlt haben. Schauen Sie sich vom Standpunkt des neutralen Beobachters die Szene genau an. Wenn unangenehme Gefühle auftauchen (was zu erwarten ist) versuchen Sie bitte trotzdem bei der Szene zu bleiben.
Machen Sie sich nun klar, woher genau die Ursache Ihres Gefühlszustandes rührt. Versuchen Sie, das Wesen dieser Ursache mit einem kurzen Satz zu beschreiben. Sagen Sie sich z.B.: „Ich werde bestraft.“ oder „Ich werde gedemütigt.“ oder „Ich werde verurteilt.“ Dann schauen Sie sich vor Ihrem inneren Auge das Kind an, dass Sie selbst waren. Machen Sie sich klar, was das Wesen der Wirkung auf dieses Kind war: wie sieht es sich jetzt selbst in dieser Situation? Alleingelassen ? Ungerecht behandelt ? Beschämt ?
Jetzt versuchen Sie, eine ähnliche Situation (ein ähnliches Gefühl) in der Gegenwart zu finden. Aus welchem Anlaß haben Sie sich ähnlich behandelt gefühlt? Was war jetzt die Ursache, was war jetzt die Wirkung? Machen Sie sich klar, dass sich etwas wiederholt hat.
Im letzten Schritt versuchen Sie nun, die Situation für sich positiv aufzulösen. Sagen Sie Ihrem Kind direkt: „Dass du dich so fühlst, diese Wirkung die du spürst, hat nichts mit dir zu tun. Es ist dir von Außen auferlegt worden. Ich sehe dich mit anderen Augen, ich bin stolz auf dich und ich freue mich für dich. Du bist für mich o.k. mit allem was du bist.“
Falls Sie während dieser Übung in einen zu unangenehmen Zustand kommen oder Schwierigkeiten an der einen oder anderen Stelle haben, dann ist das auch o.k. und kein Grund aufzugeben oder sich etwas vorzuwerfen. Haben Sie Geduld mit sich selbst und versuchen Sie, die Übung zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.