Inhaltsverzeichnis
- 1 Vorwort
- 2 Der Versuch einer Illustration des Romans „L’Amour Fou“
- 2.1 „Schlüssel-Träger“ – Sie tragen die Schlüssel zu den Lebenslagen
- 2.2 Psychoanalyse
- 2.3 Es sind die Frauen, die er geliebt hat, die ihn geliebt haben …
- 2.4 „Die sinnliche Macht, die über alle Bereiche meines Geistes herrscht…“
- 2.5 Rimbaud „La Rivière de Cassis“ („Der Johannisbeerbach“)
- 2.6 Das Manifest der konvulsivischen Schönheit
- 2.7 Bewegung die zum Stillstand kommt
- 2.8 Die Grotte des Fées
- 2.9 Zufallsfunde als Katalysatoren
- 2.10 Quellen:
Vorwort
André Breton, der als intellektueller Anführer des Surrealismus gilt, prägte nicht nur die Bewegung durch seine Manifeste, sondern auch durch seine literarischen Werke. Der Weg von seiner Dada-Zeit bis zur Entstehung des Surrealismus war geprägt von einem intensiven Streben nach künstlerischer Freiheit und der Entfesselung des Unbewussten.
Der Titel selbst, ‚L’Amour Fou‘, übersetzt als ‚Verrückte Liebe‘, gibt bereits einen Hinweis auf die Thematik des Romans. Breton erforscht die irrationalen, intensiven Aspekte der Liebe, die über die konventionellen Grenzen hinausgehen. Das Werk ist geprägt von surrealistischen Elementen, in denen Traum und Realität verschmelzen. Die Charaktere tauchen ein in das Unbewusste, und die Linien zwischen Wirklichkeit und Fantasie verschwimmen.
Ein zentrales surrealistisches Element in ‚L’Amour Fou‘ ist die Anwendung der automatischen Schreibweise. Breton und seine Protagonisten lassen den Stift frei über das Papier wandern, ohne bewusste Kontrolle. Dieser Akt des automatischen Schreibens ermöglicht einen direkten Zugang zum Unbewussten und verleiht dem Roman eine unvorhersehbare, poetische Dimension.
Ein weiterer fesselnder Aspekt des Romans sind die Frauenfiguren, die eine zentrale Rolle spielen. Breton porträtiert die Frauen nicht nur als Liebesobjekte, sondern als starke, eigenständige Persönlichkeiten. Ihre Beziehungen zu den männlichen Charakteren spiegeln oft die Spannungen und Widersprüche der Liebe wider.
Die Verbindung von Surrealismus und Erotik ist in ‚L’Amour Fou‘ unübersehbar. Breton erkundet die erotische Dimension der Liebe und lässt die Grenzen zwischen Lust und Schmerz verschwimmen. Die Darstellung der Liebe als impulsiv, unkontrollierbar und manchmal sogar zerstörerisch fügt dem Werk eine weitere surrealistische Ebene hinzu.
Der Versuch einer Illustration des Romans „L’Amour Fou“
Dem Roman sind bereits Abbildungen hinzugefügt, die den Eindruck des geschriebenen Wortes unterstützen und erweitern sollen. Hier wird nun ein Versuch unternommen – unter Zuhilfenahme der modernen KI – surreale Bilder und Phantasien, aber auch reale Ereignisse von Bedeutung aus seinem Roman zu illustrieren. Die Auswahl der Szenen ist spontan erfolgt und beruht nicht aus einer bestimmten Systematik heraus. Ein Schwerpunkt wurde jedoch auf die Illustration des Gedichtes „Tournesol“ gelegt, das auf „surreale“ (sic!) Art die Begegnung Bretons mit einer jungen Frau widerspiegelt und vorwegnimmt.
Die Illustrationen wurden mit der KI „Midjourney“ erstellt. Es wurden keine Originalvorlagen verwendet. Alle prompts wurden von mir selbst erstellt.
Die geneigte Leserin und der geneigte Leser mögen sich selbst ein Urteil bilden, inwieweit dieses Experiment gelungen ist, oder ob überhaupt ein solches Vorhaben gerechtfertigt sein kann. Bitte benutzen Sie dazu die Kommentarfunktion möglichst ausführlich.
In den Anführungszeichen findet man die den Illustrationen entsprechenden Zitate aus dem Roman.
„Schlüssel-Träger“ – Sie tragen die Schlüssel zu den Lebenslagen
„Es ist diesen Gestalten eigentümlich, daß sie mir schwarz gekleidet erscheinen – vermutlich tragen sie einen Frack.; ihre Gesichter sind nicht zu erkennen; es müssen sieben oder neun sein -, sie sitzen nebeneinander auf einer Bank und unterhalten sich, die Köpfe steif emporgereckt.“
Psychoanalyse
„Beim Anbruch der Nacht, und oft auch sehr viel später noch (ich verhehle mir nicht, dass die Psychoanalyse hier ein Wort mitzureden hätte), finde ich sie wieder, als ob sie einem Ritus gehorchten, wie sie im Gänsemarsch, …, wortlos am Meeresufer wandern.“
Es sind die Frauen, die er geliebt hat, die ihn geliebt haben …
„Plötzlich aber – sollte das die nämliche Bank wie vorhin sein, gleichviel, oder die Wandbank in einem Café? – ist die Bühne wieder versperrt. Diesmal ist, was sie versperrt, eine Reihe von Frauen: auch sie sitzend, in hellen Kleidern, wie sie ergreifender nie getragen wurden.“
„Und nicht nur dieser Parallelismus der beiden Gruppen von Männern und Frauen, die ich soeben, nicht ohne Willkür, einander gleichgeordnet auftreten ließ, legt mir die Annahme nahe, daß der Betreffende – der doch aufgefordert ist, in all den Gesichtern dieser Männer zuletzt nur sich selbst zu erkennen – desgleichen in all den Gesichtern dieser Frauen nur ein Gesicht entdecken wird: das zuletzt geliebte Gesicht.“
„Die sinnliche Macht, die über alle Bereiche meines Geistes herrscht…“
„… die Korallen, wenn ich sie nur, wie sich‚s gebührt, dem Leben zurückerstatte, im Spiegelglanz des Meeres. Das Leben, in seinem unaufhörlichen Prozess des Bildens und Zerstörens, bietet sich, scheint mir, dem menschlichen Auge nirgends anschaulicher dar als umfriedet von den Blaumeisen-Hecken des Aragoniten und der Schatz-Brücke des australischen Großen Barriereriffes.“
Rimbaud „La Rivière de Cassis“ („Der Johannisbeerbach“)
„Ich erinnere mich, daß Paul Valéry während des ersten Besuches, den ich ihm mit siebzehn Jahren abstattete, vor allem wissen wollte, was mich veranlaßte, mich der Dichtung zu widmen, und daß meine Antwort damals schon ausschließlich in diese Richtung ging: ich sei, sagte ich, nur darauf bedacht, solche Zustände zu schaffen (mir zu verschaffen?), die denen gleichkämen, welche gewisse poetische Sätze und Bilder an entlegenen Stellen in mir hervorgerufen hätten. Auffällig und bewundernswert ist es, daß solche Zustände vollkommener Empfänglichkeit im Laufe der Zeit keine Abschwächung erleiden, denn unter den Beispielen, die ich heute für diese kurzen Formeln wählen würde, welche eine magische Wirkung auf mich ausüben, kehren mehrere wieder, die ich Valéry bereits vor zwanzig Jahren nannte. Das waren, unzweifelhaft,
„Mais que salubre est le vent!“
„Doch wie der Wind jetzt heilt!„
aus „La Rivière de Cassis“ von Rimbaud.
Das Manifest der konvulsivischen Schönheit
“ … sollte man die neue Schönheit aufsuchen -, die „einzig um der Leidenschaft und ihrer Ziele willen“ schön zu heißen verdient. Ich schäme mich durchaus nicht, hier zu gestehen, daß ich gänzlich unempfindlich bin für Naturschauspiele oder Kunstwerke, die nicht im Akt der Wahrnehmung unverzüglich eine körperliche Erregung in mir auslösen, welche sich durch ein Sprühen und Wehen an den Schläfen bemerkbar macht und bis zu einem wirklichen Frösteln gehen kann. Ich war stets außerstande, dieses Gefühl nicht mit dem der erotischen Lust in Verbindung zu bringen, und ich kann zwischen beiden nur Unterschiede des Grades entdecken.“
„Die Definitionen Lautréamonts, die mit „schön wie“ beginnen, sind geradezu das Manifest der konvulsivischen Schönheit.“
„Die Augen, die nichts mehr ausdrücken als unterschiedslos Verzückung, Raserei und Grauen, sind die Augen von Nervals Isis.“
Bewegung die zum Stillstand kommt
„Ich bedaure, daß es mir nicht möglich war, in Ergänzung zu den übrigen Illustrationen dieses Buches, die Photographie einer Lokomotive großen Stils geben zu können, die man Jahre hindurch dem Delirium des Urwalds überlassen hätte. Ganz abgesehen davon, daß der Wunsch, so etwas zu erblicken, mich seit langem in eine eigentümliche Erregung versetzt, scheint mir, der sicher magische Anblick dieses Denkmals des Sieges und der Katastrophe wäre mehr als jeder andere danach angetan gewesen, unmißverständlich erkennen zu lassen, worum es mir geht …“
Die Grotte des Fées
„„Abermals in einer Höhle, der Grotte des Fées bei Montpellier, wo man zwischen Wänden aus Quarz wandert, setzt das Herz für Sekunden aus beim Anblick jenes riesigen mineralischen Mantels, der „Kaisermantel“ genannt, dessen Faltenwurf auf ewig der Kunst des Bildhauers spottet und den das Licht eines Scheinwerfers mit Rosen bedeckt, gleichsam damit er auch in dieser Hinsicht dem doch so prächtigen und konvulsivischen Mantel nichts zu neiden hätte, der aus der unendlichen Wiederholung der einzigen kleinen roten Feder eines seltenen Vogels bestand und den die ehemaligen Häuptlinge auf Hawaii trugen.“
Zufallsfunde als Katalysatoren
Breton beschäftigte sich sehr mit – teilweise zunächst völlig unscheinbaren – Dingen, die eine Art Zufallsfund waren, so z.B. ein Holzlöffel auf einem Flohmarkt. Diese stellten sich für ihn im Nachhinein als eine Art Katalysator dar, die andere Ereignisse in seinem Leben in Gang brachten oder ihnen eine besondere Bedeutung verliehen. Andere traumähnliche Phantasien oder Erinnerungen konnten denselben Zweck erfüllen, wenn man sie in ein reales Kunstwerk umwandeln würde.
„Einige Monate früher waren ein Satzfragment beim Erwachen: „le cendrier Cendrillon“ („der Aschenbecher Aschenputtel“) und die Versuchung, die mich seit langem anwandelt, traumhafte oder traumähnliche Gegenstände in Umlauf zu setzen, der Anlaß gewesen, daß ich Giacometti gebeten hatte, mir, ganz nach seiner Laune einen kleinen Pantoffel zu modellieren, der im Grunde Aschenputtels verlorener Pantoffel gewesen wäre. Meine Absicht war, diesen Pantoffel in Glas gießen zu lassen und sogar, wenn ich mich recht entsinne, in grauem Glas, um mich seiner dann als Aschenbecher zu bedienen.“
Quellen:
- Breton, André. „L’Amour Fou“, Suhrkamp Erste Auflage 1975 (alle Zitate). Original 1937.
- Breton, André. „Manifeste du surréalisme“, 1924.)
- Freud, Sigmund. „Die Traumdeutung“, 1899. (Hier mehr zu „Psychoanalyse – Tiefenpsychologie“)
- Spies, Werner. „André Breton: Magus des Surrealismus“, 1995.