„Die Philosophie von Baruch de Spinoza #Spinoza 10“

Spinoza

Nach­dem wir uns schon mit eini­gen Bei­trä­gen mit der „Hil­fe zur Selbst­hil­fe“ nach den Erkennt­nis­sen von Baruch de Spi­no­za beschäf­tigt haben, scheint es an der Zeit zu sein, einen aus­führ­li­chen Blick auf sei­ne Phi­lo­so­phie zu werfen. 

Unser Blog-Bei­trag beschäf­tigt sich denn auch mit Baruch de Spi­no­zas „Ethi­ca“, einem grund­le­gen­den Werk der Phi­lo­so­phie, das aus fünf Büchern besteht und sich mit The­men wie Gott, Natur, Men­schen, Knecht­schaft und Frei­heit befasst. Spi­no­za ver­wen­det eine deduk­ti­ve Argu­men­ta­ti­ons­wei­se namens „mos“ oder „ordo geo­me­tri­cus“, die auf der logi­schen Struk­tu­rie­rung von Defi­ni­tio­nen, Axio­men, Lehr­sät­zen, Bewei­sen und Fol­ge­sät­zen basiert, ähn­lich der mathe­ma­ti­schen Metho­dik von Euklid. Die­ses Modell strebt an, aus weni­gen abso­lut gül­ti­gen Prä­mis­sen detail­lier­te Erkennt­nis­se abzu­lei­ten, die nicht gegen logi­sche Geset­ze verstoßen.

„Die Sichtweise von Spinoza auf Gott“

In sei­nem ers­ten Buch „Von Gott“ prä­sen­tiert Spi­no­za eine Sub­stanz­me­ta­phy­sik, die sich von Des­car­tes‘ Dua­lis­mus abhebt. Wäh­rend Des­car­tes zwei getrenn­te Sub­stan­zen pos­tu­lier­te (Den­ken und Aus­deh­nung), betrach­tet Spi­no­za sie als Attri­bu­te einer ein­zi­gen unteil­ba­ren Sub­stanz. Die­se Sub­stanz mani­fes­tiert sich als Mate­rie oder Geist und ist in jedem Kör­per und Geist prä­sent. Spi­no­za argu­men­tiert, dass die Annah­me zwei­er Sub­stan­zen zu End­lich­keit füh­ren wür­de, was jedoch einem unend­li­chen Wesen wider­spricht. Eine unend­li­che Sub­stanz kann kei­ne Begren­zung haben, da jede Form von Begren­zung eine Nega­ti­on und somit end­lich ist. Daher schließt die unend­li­che Sub­stanz alles ein und ist der grund­le­gen­de Wesens­grund des Seins.

Spi­no­zas Argu­men­ta­ti­on gegen den car­te­si­schen Dua­lis­mus hebt her­vor, dass die Annah­me von zwei Sub­stan­zen zu einem end­li­chen und somit wider­sprüch­li­chen Kon­zept führt. Die Sub­stanz als unend­li­cher Wesens­grund ent­hält kei­ne Nega­ti­vi­tät und umfasst alles, was exis­tiert. Die­ser monis­ti­sche Ansatz unter­streicht die Ein­heit und Ganz­heit der Welt und lehnt eine dua­lis­ti­sche Auf­tei­lung ab.

Spi­no­za argu­men­tiert, dass die Sub­stanz, die das gesam­te Sein umfasst, not­wen­di­ger­wei­se posi­tiv, ewig und unge­schaf­fen sein muss. Dies steht im Gegen­satz zu der Vor­stel­lung einer Schöp­fung aus dem Nichts, wie sie in der crea­tio ex nihi­lo pos­tu­liert wird. Die Sub­stanz wird als unend­lich und ewig betrach­tet und wird daher mit der Idee Got­tes gleich­ge­setzt: Sub­stan­tia, sive Deus.

Es ist wich­tig anzu­mer­ken, dass Spi­no­zas Kon­zept von Gott nicht mit einer außer­welt­li­chen und per­so­na­len Enti­tät ver­bun­den ist. Sei­ne Defi­ni­ti­on von Gott ist eher imma­nent und nicht per­sön­lich ansprech­bar. Dies führt dazu, dass vie­le Zeit­ge­nos­sen und Nach­welt Spi­no­zas Theo­rie als athe­is­tisch betrachten.

Ein wei­te­rer wesent­li­cher Schritt in Spi­no­zas Argu­men­ta­ti­on besteht dar­in, Gott oder die Sub­stanz als Ursa­che ihrer selbst zu erklä­ren (cau­sa sui). Die­se Argu­men­ta­ti­on vari­iert den onto­lo­gi­schen Got­tes­be­weis, indem nicht die Voll­kom­men­heit Got­tes, son­dern sei­ne Not­wen­dig­keit als Grund­la­ge genom­men wird. Die Idee, dass Gott not­wen­dig exis­tiert, ergibt sich aus sei­ner Eigen­schaft als Ursa­che, die sowohl ihre eige­ne Wir­kung ist als auch nicht nicht exis­tie­ren kann.

Des Wei­te­ren befasst sich Spi­no­za mit der Kau­sa­li­täts­fra­ge und argu­men­tiert, dass die Welt eine Ursa­che haben muss, die selbst nicht von etwas ande­rem begrün­det sein kann. Die­se Sub­stanz, die die Ursa­che und Grund­la­ge aller Din­ge ist, iden­ti­fi­ziert Spi­no­za mit Gott. Gott wird als die imma­nen­te Ursa­che von allem betrach­tet und ist weder eine äuße­re noch eine per­so­na­le Enti­tät. Daher fol­gert Spi­no­za, dass Gott mit der Natur iden­tisch ist: Deus sive natura.

Die­ses Kon­zept, das als Pan­the­is­mus bekannt ist, sorgt für hef­ti­ge und kon­tro­ver­se Dis­kus­sio­nen im Deutsch­land der Klas­sik. Die Idee, dass Gott und Natur iden­tisch sind, stellt eine radi­ka­le Abkehr von tra­di­tio­nel­len reli­giö­sen Vor­stel­lun­gen dar und hat erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf das Ver­ständ­nis von Reli­gi­on und Philosophie.

Ins­ge­samt bie­tet Spi­no­zas „Ethi­ca“ eine radi­ka­le Per­spek­ti­ve auf die Natur des Seins, die auf einer ein­heit­li­chen Sub­stanz basiert und die Dua­lis­men des car­te­si­schen Den­kens her­aus­for­dert. Sei­ne Sub­stanz­me­ta­phy­sik und sei­ne Argu­men­ta­ti­on gegen den Dua­lis­mus haben einen bedeu­ten­den Ein­fluss auf die moder­ne Phi­lo­so­phie aus­ge­übt und blei­ben bis heu­te Gegen­stand inten­si­ver Debat­ten und Studien.

„Das Konzept der Freiheit bei Spinoza“

Unser Bei­trag dis­ku­tiert nun Spi­no­zas Kon­zept der Frei­heit inner­halb sei­ner Ethik und betont, dass Gott als mit der Natur iden­ti­sche Sub­stanz nicht frei sein kann. Dies liegt dar­an, dass Gott den Geset­zen sei­ner eige­nen Natur folgt und daher nicht die Frei­heit hat, Natur­ge­set­ze außer Kraft zu set­zen. In Spi­no­zas Welt­an­schau­ung exis­tiert kei­ne Wil­lens­frei­heit; statt­des­sen besteht Frei­heit dar­in, die Not­wen­dig­keit des Gan­zen zu erken­nen und das eige­ne Ver­hal­ten ent­spre­chend anzupassen.

Im fünf­ten Buch sei­ner Ethik ent­wi­ckelt Spi­no­za ein kom­ple­xes Kon­zept von Frei­heit als die Fähig­keit des Erken­nens, das ein­se­hen­de Befol­gen des Not­wen­di­gen, die Ein­wil­li­gung in das Erkann­te und die dar­aus resul­tie­ren­de Beherr­schung der Lei­den­schaf­ten. Der ver­nunft­be­gab­te Mensch han­delt aus Lie­be zur Frei­heit. Die­se Frei­heit ist also kei­ne grund­lo­se Will­kür, wie sie spä­ter von Schel­ling dis­ku­tiert wird, oder die Fähig­keit, frei zu han­deln, wie von Kant for­mu­liert. Statt­des­sen wird etwas als frei betrach­tet, das aus sei­ner eige­nen Not­wen­dig­keit existiert.

Spi­no­za argu­men­tiert, dass Erken­nen und Han­deln in Gott iden­tisch sind und dass Gott mit der­sel­ben Not­wen­dig­keit han­delt, mit der er exis­tiert. Gott han­delt nicht absicht­lich oder wil­lent­lich, son­dern sein Han­deln ergibt sich aus sei­ner Natur. Die­se Auf­fas­sung von Gott als nicht per­sön­li­cher und nicht absichts­vol­ler Enti­tät mag aus christ­li­cher Sicht pro­vo­kant sein, folgt jedoch not­wen­dig aus Spi­no­zas Kon­zept der Substanz.

Dar­über hin­aus lehnt Spi­no­za die Idee eines frei­en Wil­lens ab und betrach­tet ihn als Selbst­täu­schung auf­grund unvoll­stän­di­ger Ursa­chen­kennt­nis. Alles, was geschieht, geschieht aus Grün­den und Ursa­chen und ist daher von Kau­sa­li­täts­ket­ten bedingt. Spi­no­za betont den Satz vom zurei­chen­den Grund und den Grund­satz ex nihi­lo nihil fit. Alles hat eine Ursa­che, und sogar die Nicht­exis­tenz eines Din­ges hat Grün­de, auch wenn die­se uns in der Regel unbe­kannt sind.

Ins­ge­samt argu­men­tiert Spi­no­za, dass Frei­heit in der Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit liegt und dass die Welt von Grün­den und Ursa­chen bestimmt ist, wodurch die Idee eines frei­en Wil­lens als Illu­si­on ent­larvt wird.

„Die Naturphilosophie bei Spinoza“

Unser Bei­trag beleuch­tet nun das zwei­te Buch von Spi­no­zas „Ethi­ca“, das sei­ne Natur­phi­lo­so­phie und den psy­cho­phy­si­schen Par­al­le­lis­mus behan­delt. Spi­no­za unter­schei­det zwi­schen der natu­ra natur­ans, der schaf­fen­den Natur, und der natu­ra natu­ra­ta, der geschaf­fe­nen Natur. Er lehnt jede Form von Teleo­lo­gie ent­schie­den ab und erklärt, dass Zweck­be­stim­mun­gen anthro­po­mor­phe Vor­stel­lun­gen sind, die mehr über die Struk­tur unse­res Geis­tes als über die Din­ge selbst aussagen.

Inner­halb des Natur­gan­zen ist der ein­zel­ne Mensch eine Modi­fi­ka­ti­on der Attri­bu­te der Sub­stanz, sowohl als Kör­per als auch als Geist. Der Mensch ist von grund­le­gen­den Affek­ten wie Freu­de, Trau­er und Begeh­ren bestimmt, kann jedoch durch Ver­nunft sei­ne Affek­te mode­rie­ren und kon­trol­lie­ren. Affek­te sind dabei sowohl kör­per­li­cher als auch geis­ti­ger Natur, was Spi­no­zas Theo­rie mit moder­nen Kon­zep­ten der Psy­cho­so­ma­tik verbindet.

Spi­no­za pos­tu­liert einen Par­al­le­lis­mus zwi­schen Kör­per und Geist, basie­rend auf der Par­al­le­li­tät der Attri­bu­te Den­ken und Aus­deh­nung. Dies bedeu­tet, dass Kör­per­li­ches nur durch Kör­per­li­ches und Men­ta­les nur durch Men­ta­les ver­ur­sacht wird. Es gibt kei­ne Hier­ar­chie zwi­schen Kör­per und Geist, da bei­de Attri­bu­te gleich­wer­tig sind. Die­ser Par­al­le­lis­mus erklärt, war­um psy­chi­sche und phy­si­sche Pro­zes­se kor­re­spon­die­ren, ohne dass eine Kau­sa­li­tät zwi­schen ihnen ange­nom­men wer­den muss.

Spi­no­zas Kon­zept des psy­cho­phy­si­schen Par­al­le­lis­mus fin­det heu­te Anklang in Debat­ten über die Bezie­hung zwi­schen Geist und Gehirn. Eini­ge Phi­lo­so­phen argu­men­tie­ren für eine Iden­ti­tät zwi­schen neu­ro­na­len Pro­zes­sen und men­ta­len Erfah­run­gen, die sowohl aus natur­wis­sen­schaft­li­cher als auch aus phä­no­me­no­lo­gi­scher Per­spek­ti­ve betrach­tet wer­den kann. Spi­no­za pos­tu­liert eben­falls die­se Iden­ti­tät und erklärt, dass Geist und Kör­per das­sel­be Indi­vi­du­um sind, das je nach Betrach­tungs­wei­se unter dem Attri­but des Den­kens oder der Aus­deh­nung betrach­tet wird.

Ins­ge­samt zeigt sich Spi­no­zas Kon­zept des psy­cho­phy­si­schen Par­al­le­lis­mus als kom­pa­ti­bel mit moder­nen Ansät­zen in der Phi­lo­so­phie des Geis­tes und der Psy­cho­lo­gie. Sei­ne Ideen bie­ten eine inter­es­san­te Per­spek­ti­ve auf die Bezie­hung zwi­schen Kör­per und Geist, die auch heu­te noch rele­van­te Fra­gen auf­wirft und Dis­kus­sio­nen anregt.

„Die Ethik des guten Lebens und richtigen Handelns bei Spinoza“

Unser Bei­trag führt uns nun in die prak­ti­sche Phi­lo­so­phie Spi­no­zas ein, die sich in den Büchern III und IV sei­ner „Ethi­ca“ fin­det. Die­se Ethik ist kei­ne nor­ma­ti­ve Moral­phi­lo­so­phie, son­dern eine Indi­vi­du­al­ethik des guten Lebens und rich­ti­gen Han­delns, die auf intel­lek­tua­lis­ti­schen Prä­mis­sen beruht. Spi­no­za beschreibt die mensch­li­chen Hand­lun­gen und Trie­be in einer nüch­ter­nen, wis­sen­schaft­li­chen Wei­se, ohne mora­li­sche Vor­ga­ben zu machen oder nor­ma­ti­ve Maß­stä­be anzulegen.

Er bezieht sich dabei auf Des­car­tes‘ Pas­si­ons­leh­re, redu­ziert jedoch die Grund­af­fek­te auf drei Haupt­for­men: Freu­de, Trau­er und Begeh­ren. Die­se Affek­te sind Über­gän­ge zu grö­ße­rer oder gerin­ge­rer Voll­kom­men­heit und wir­ken sich auf die psycho-phy­si­schen Lebens­kräf­te aus. Spi­no­za betont, dass Gut und Böse kei­ne onti­sche Ver­an­ke­rung haben, son­dern rela­ti­ve Bestim­mun­gen sind, die von den Affek­ten eines Indi­vi­du­ums abhän­gen. Was als gut oder böse betrach­tet wird, ist in Wirk­lich­keit nur in bestimm­ter Hin­sicht nütz­lich oder schädlich.

Die Tugend im Spi­no­zis­mus bezeich­net eine Kraft und ein Tätig­keits­ver­mö­gen, nicht das Kri­te­ri­um einer Gebots- oder Ver­bots­ethik. Ein tugend­haf­tes Leben liegt im Inter­es­se des Ein­zel­nen und der Gemein­schaft, da Tugend der Lohn ihrer selbst ist. Spi­no­zas Ethik berück­sich­tigt die Inter­es­sen ande­rer und der Gemein­schaft, da Ver­nunft lang­fris­tig das Bes­te für alle ist.

Jeder Mensch strebt danach, sein Sein zu erhal­ten, doch dies ist nur durch Rück­sicht­nah­me auf ande­re lang­fris­tig mög­lich. Spi­no­zas Ethik ist prag­ma­tisch und basiert auf einer tie­fen Lebens­be­ja­hung, die das Nütz­li­che für den Men­schen als gut betrach­tet, solan­ge es ande­ren nicht scha­det. Die Ver­nunft fun­giert dabei als indi­vi­du­el­les und all­ge­mei­nes Kor­rek­tiv für Leidenschaften.

Scham und Reue sind an sich betrach­tet nega­ti­ve Gefüh­le, da sie Trau­er ver­ur­sa­chen und die Lebens­kräf­te min­dern. Spi­no­za betont jedoch ihre päd­ago­gi­sche Funk­ti­on, um Bar­ba­ren vor Ver­ro­hung zu bewah­ren. Erkennt­nis spielt eine zen­tra­le Rol­le in Spi­no­zas Hand­lungs­kon­zept, da sie uns befä­higt, adäqua­te Ursa­chen unse­rer Gefühls­zu­stän­de zu wer­den und Lei­den­schaf­ten in Hand­lun­gen zu transformieren.

„Der Wechsel der Perspektiven bei Spinoza“

Unser Bei­trag führt uns jetzt in die kom­ple­xe phi­lo­so­phi­sche Metho­de Spi­no­zas ein, die durch einen stän­di­gen Wech­sel der Per­spek­ti­ven gekenn­zeich­net ist. Die­ser Per­spek­ti­vis­mus erlaubt es, Din­ge aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln zu betrach­ten und zu ver­ste­hen, indem sie ent­we­der im Zusam­men­hang mit ande­ren betrach­tet wer­den oder als eigen­stän­di­ge Einheiten.

Ein zen­tra­ler Aspekt die­ser Metho­de ist der Per­spek­ti­ven­wech­sel zwi­schen einem umfas­sen­den Blick auf das gro­ße Gan­ze und einem detail­lier­ten Blick ins Detail. Die­se Per­spek­ti­ven sind nicht nur eine blo­ße Betrach­tung, son­dern ein metho­di­scher Ansatz, der es ermög­licht, Din­ge aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln zu ver­ste­hen. Spi­no­za betont, dass jedes Urteil vom Urtei­len­den abhängt und dass die Art und Wei­se, wie wir die Welt wahr­neh­men, von unse­rer indi­vi­du­el­len geis­ti­gen Ver­fas­sung und unse­ren Affek­ten beein­flusst wird.

Die Sub­stanz, die bei Spi­no­za den Grund allen Seins dar­stellt, kann auf zwei Arten ver­stan­den und betrach­tet wer­den: ent­we­der als Beson­der­hei­ten oder als Teil­ha­be am Gan­zen. Die­se dua­lis­ti­sche Betrach­tungs­wei­se ermög­licht es, die Ein­heit in der Viel­falt der Din­ge zu erken­nen. Spi­no­za strebt danach, die Ein­heit in einer Welt wie­der­her­zu­stel­len, die von Des­car­tes in Kör­per und Geist gespal­ten wur­de. Für Spi­no­za ist Gott eine Ein­heit von Iden­ti­tät und Dif­fe­renz, die sich am bes­ten in der For­mel „deus sive natu­ra“ aus­drü­cken lässt. Die­se For­mel betont die Ein­heit und Iden­ti­tät Got­tes mit der Natur, wäh­rend sie gleich­zei­tig die Dif­fe­renz zwi­schen bei­den aufrechterhält.

Spi­no­zas Per­spek­ti­vis­mus zeigt sich in sei­nem metho­di­schen Ver­fah­ren, die Din­ge zunächst iden­ti­fi­zie­rend und dann dif­fe­ren­zie­rend zu betrach­ten. Je nach­dem, aus wel­chem Blick­win­kel man die Din­ge betrach­tet, kann man ent­we­der ihre Dif­fe­renz zu ande­ren oder ihre uni­ver­sel­le Iden­ti­tät erken­nen. Gott ist für Spi­no­za der unend­li­che Flucht­punkt, in dem sich die Par­al­le­len schnei­den und die Per­spek­ti­ven zusammenlaufen.

Ins­ge­samt durch­zieht die­ser Per­spek­ti­vis­mus die gesam­te Phi­lo­so­phie Spi­no­zas auf unter­schied­lichs­ten Ebe­nen und zeigt sei­ne kom­ple­xe Her­an­ge­hens­wei­se an die Betrach­tung der Welt.

„Vernunft hat die Herrschaft über die Affekte“

Der fünf­te Teil der Ethi­ca von Spi­no­za prä­sen­tiert eine fas­zi­nie­ren­de Ver­schmel­zung von Ratio­na­lis­mus und Mys­ti­zis­mus, die durch eine Rei­he von Schlüs­sel­be­grif­fen gekenn­zeich­net ist: acquie­s­cen­tia ani­mi (oder men­tis), cogni­tio intui­ti­va und amor Dei intellectualis.

Spi­no­za argu­men­tiert, dass der Mensch durch intui­ti­ve Erkennt­nis die Fähig­keit hat, sei­ne Lei­den­schaf­ten zu beherr­schen und somit Herr über sein Lei­den zu wer­den. Dies führt zu einer Form der Frei­heit, die es dem Men­schen ermög­licht, sein Leben in einer hedo­nis­ti­schen und gelas­se­nen Wei­se zu genie­ßen. Das Ziel sei­ner Phi­lo­so­phie ist es, den „homo liber“ zu errei­chen, der durch die Ver­nunft Herr­schaft über sei­ne Affek­te erlangt und somit sein Leben wei­se und hei­ter führt.

Eine zen­tra­le Idee ist die Lie­be zu Gott, die aus der Erkennt­nis des Selbst und sei­ner Bezie­hung zum Gan­zen ent­springt. Spi­no­za betont, dass die Ver­nunft die Fähig­keit besitzt, die Din­ge aus der Per­spek­ti­ve der Ewig­keit zu betrach­ten und somit eine Ver­bin­dung mit Gott her­zu­stel­len. Der Geist des Men­schen, obwohl an den Kör­per gebun­den und sterb­lich, ist als Ver­nunft Teil des unend­li­chen Gan­zen und damit untrenn­bar mit Gott verbunden.

Die Lie­be zu Gott ist jedoch kei­ne affek­ti­ve Bezie­hung zu einem per­sön­li­chen Wesen, son­dern viel­mehr eine Lie­be zum Sein als Gan­zes. Gott kann nicht lie­ben, da er bereits die voll­kom­mens­te Exis­tenz ist. Die Lie­be zu Gott ist daher eine Lie­be zum All und allem Sei­en­den, was einer Lie­be zum Kos­mos ent­spricht. Die intel­lek­tu­el­le Lie­be des Geis­tes zu Gott und die Lie­be Got­tes zu den Men­schen sind somit eins und das­sel­be, da bei­de die Ver­ei­ni­gung des Ein­zel­nen mit dem All­ge­mei­nen symbolisieren.

In der intui­ti­ven Erkennt­nis des amor Dei nähert sich der freie und ver­nunft­be­gab­te Mensch der gött­li­chen Per­spek­ti­ve auf den Kos­mos an und betrach­tet die­sen aus der Sicht der Ewig­keit als uni­ver­sel­le und ewi­ge Iden­ti­tät. Die­se mys­ti­sche Kon­zep­ti­on ermög­licht es dem Men­schen, die per­sön­li­che Indi­vi­dua­li­tät zuguns­ten einer Ver­ei­ni­gung mit dem All auf­zu­he­ben und sich als Teil eines grö­ße­ren Gan­zen zu erkennen.

„Rezeption von Spinozas Philosophie“

Die Rezep­ti­on von Spi­no­zas Phi­lo­so­phie in der Nach­welt ist von einer star­ken Beto­nung von Ableh­nung oder Bewun­de­rung geprägt. Bereits von Les­sing bis hin zu Tonio Negri und Gil­les Deleu­ze haben sich zahl­rei­che Den­ker mit Spi­no­zas Werk auseinandergesetzt.

Ein Wen­de­punkt in der Wahr­neh­mung von Spi­no­za war Les­sings öffent­li­ches Bekennt­nis, dass für ihn kei­ne ande­re Phi­lo­so­phie exis­tie­re als die des Spi­no­za. Dies lös­te eine Spi­no­za-Renais­sance aus, die Deutsch­land intel­lek­tu­ell spal­te­te und zu lei­den­schaft­li­chen Dis­kus­sio­nen führ­te. Selbst der Wei­ma­ra­ner Super­in­ten­dent Johann Gott­fried Her­der sorg­te für Auf­se­hen, als er sich auf die Sei­te des Athe­is­mus stell­te. Die Idea­lis­ten, obwohl sie Spi­no­zas Monis­mus schätz­ten, kri­ti­sier­ten sein Sys­tem vehe­ment. Hegel argu­men­tier­te, dass Spi­no­zas Phi­lo­so­phie den Zeit­aspekt ver­nach­läs­si­ge und ein unent­wi­ckel­tes Uni­ver­sum darstelle.

Beson­ders Fich­te kri­ti­sier­te Spi­no­zas Kon­zept der Frei­heit, da er mein­te, dass es im Spi­no­zis­mus kei­ne wah­re Frei­heit gebe. Für Fich­te lag der Grund dafür dar­in, dass die Frei­heit nicht dem end­li­chen Wesen zuge­schrie­ben wer­den kön­ne, son­dern durch und in ihm sei das All. Obwohl die Idea­lis­ten Spi­no­za als den Den­ker des All-Einen ansa­hen, stell­ten sie fest, dass sein Sys­tem nicht aus­reich­te, um uner­war­te­te Pra­xis-Dyna­mi­ken zu erklären.

Es ist wich­tig zu beach­ten, dass die Kri­tik an Spi­no­zas Phi­lo­so­phie aus heu­ti­ger Sicht unter­schied­lich inter­pre­tiert wer­den kann. Wäh­rend eini­ge sei­ne Beto­nung der Ver­nunft und Gedan­ken­frei­heit als Eman­zi­pa­ti­on von auto­ri­tä­rer Herr­schaft sehen, kri­ti­sie­ren ande­re die hege­mo­nia­len Ansprü­che und die Herr­schafts­för­mig­keit, die damit ein­her­ge­hen. Trotz der Kri­tik bleibt Spi­no­zas Werk ein bedeu­ten­der Mei­len­stein in der Geschich­te der Phi­lo­so­phie, der wei­ter­hin Dis­kus­sio­nen und Debat­ten anregt.

Quel­le:
Von Pla­ton bis Der­ri­da. (Gramm / Schürr­mann Hrsg.) Pri­mus Ver­lag 2005

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